Stadturlaub
- Georg

- 9. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Juni

Ein netter Zug!
Zug, tut gut! Damit meine ich nicht die Gemeinde in der Schweiz. Weil ich diese nicht kenne, kann ich nichts derartiges behaupten. Ich meine die gute alte Eisenbahn. Grade, wenn man in Gemeinschaft unterwegs ist, ist es doch lauschig sich nicht die Zeit mit dem Ärgernis des Straßenverkehrs den Tag zu versauen. Gemeinsame Qualitätszeit verbringen, fast wie in Familie. Auserkoren als Ziel ist die viertgrößte Stadt unseres Nachbarn. Wroclaw oder Breslau, je nachdem wer fragt. Die Oder teilt die Stadt in zig Inseln und sorgt für den Beinamen „Niederschlesisches Venedig“. Ein paar neue und hoffentlich schöne landschaftliche, architektonische, kulturelle oder kulinarische Erlebnisse werden wohl auf mich warten und das Wochenende als tiefe Scharte auf meiner Erlebnislatte verewigen. Ich werde, neugierig wie ich bin, wohl erstmal alles wie ein trockener Schwamm aufsaugen. Der Zug rollt Richtung Ural und streift Orte meiner Kindheit Wilhelmshagen, Rosengarten, Frankfurt an der Oder. Ab da taucht der Zug ins Neuland. Nach einem kleinen Imbiss und zwei unvermeidlichen Bechern Sekt hab ich eine gut gehende Sesselschwere. Das gleichmäßige ruckeln des rollenden Stahlkolosses schunkelt mich in einen dämmerigen Zustand, den ich mit Standby beschreiben möchte. Allzeit bereit Gefahren, Freuden oder dem trivialen Leben zu trotzen. All das wird nicht geschehen und so gönne ich mir die Pause und starre bestenfalls auf die vorbeiziehenden landwirtschaftlichen Produktionsanlagen, zufällig an den Gleisen liegenden Wäldern, Straßen und Häusern, bis wir gegen Mittag angekommen sein werden.
Statt Urlaub, könnte es auch heißen. Alles was auch zu Hause passieren kann, passiert - nur eben wo anders. Man fährt in unbestimmte Gebiete, unbekannte Orte, ungewisse Tage. Eigentlich sollte man wissen, worauf man sich einlässt! Mit fortschreitendem Alter meint man eigentlich alles zu kennen. Aber da, nach einem langen angenehm anstrengenden erlebnisreichen Tag passiert es: Mann bekommt nicht mehr alles mit, was von einem verlangt wird.

Auf einer schmalen Treppe, dem Aufstieg zu einer Aussichtsplattform zwischen den Türmen der St. Magdalenkirche in Breslau, kommt mir ein sehr korpulenter Mann entgegen, breitschultrig aber klein. Im „rittersport“ Look-quadratisch praktisch, naja …! Nicht unfreundlich auf Stufe drei der Treppe denkt er sich, mir Platz zum vorbeigleiten machen zu müssen. Er dreht seinen Oberkörper um etwa 90 grad, quasi den Bauchnabel in Richtung Geländer und tada, bei ihm fängt gleich unterm Kinn ein gewaltiger Brustkorb und ein dazu passender kugelrunder und nicht minder imposanter Bauch an. Auf seinem Rücken thront ein ca. 50 Liter fassender Rucksack aus dem noch zwei bunte Stockregenschirme herausragen, welcher wenn es überhaupt noch möglich war, die Breite seines Profils etwa verdoppelt. Mein polnischer Wortschatz ist auf „guten Tag“ begrenzt und irgendwie nicht zur Situation passend, fand ich. Irgendwie ist es uns gelungen, dass wir nach verlegenen Versuchen unseren jeweiligen Weg verletzungsfrei fortsetzen konnten. Scheinbar hatte er schon Erfahrung in einer solchen Zwangslage.

Ansonsten ist Breslau eine schöne Stadt, die zum Kurzurlaub einläd. Eine quirlige lebendige Stadt mit vielen Studenten und dementsprechend vielfältigen Möglichkeiten. Bautechnisch reicht das Portfolio von Barock (Marktplatz) über Gotik

(Backstein-Dom) bis hin zu Vorstadtvillen und Bauhaus (Jahrhunderthallenensemble).


Beeindruckend, weil die Stadt selbst im Krieg viel abbekommen hat und die sozialistische Zeit auch Spuren zweifelhafter Güte hinterlassen hat. Die Oder teilt die Stadt in verschiedene Inseln und ordnet so auf natürliche Weise die Besucherströme. Zahlreiche Lokale sorgen lukullisch einladend für die zahlreichen Besucher. So schneidet sich jeder die Mage ab, die er möchte, Kunst, Kultur, Geschichte, Kitsch oder Action. Die kleinen charmanten Bronzezwerge, die einen auf Schritt und Tritt und auf kleine Besonderheiten der Stadt und deren Bewohner aufmerksam machen, sind das „I Tüpfelchen“ der spezielle Drive. Schöne erlebnisreiche Tage gehen in der Bahn zu Ende. Und ich muss schon sagen, dass ich schon oft unbequemer unterwegs war. Gerne wieder. Dank an das Orgateam. Gerne wieder!










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