Na bitte, Brigitte! Krimi in acht Teilen
- Georg

- 3. Jan. 2021
- 6 Min. Lesezeit

1.
Die 49 jährige Kriminalkommissarin Brigitte Hartling aus Schwerin, lebt ihre Arbeit. Es könnte in dem Verb des letzten Satzes noch ein "i" vor dem "e" stehen, das tut es aber nicht. Brigitte ist nämlich ein Mensch mit verkümmerten Emotionen. Übertriebener Ehrgeiz, Neid, Liebe oder Hass gegenüber Tätigkeiten, Sachwerten oder anderen Lebewesen, kommen in ihrer derzeitigen Welt nicht vor. Nicht, dass hier ein falsches Bild von der im Grunde nicht unsympathischen Frau gezeichnet wird, aber sie verlässt sich lieber auf Dinge die berechenbar, herleitbar, zuverlässig und erklärbar sind. Spuren einer Kaffeetasse auf dem Esstisch zum Beispiel. Oder nicht besonders gut geputzte Kloschüsseln nach dem Toilettengang einer unangenehmen Kollegin. Nicht, dass sich ihr als Teenager keine Gelegenheit zum ausprobieren geboten hätten. Als blondes, hochaufgeschosses, intelligentes Mädchen mit armdickem und ebenso langem Pferdeschwanz, war sie des öfteren weiblicher Teil der Forschungsgruppe am anderen Geschlecht. Nun bekommt aber nicht jeder Forscher automatisch auch einen Preis für seine Leistungen. Das mag sowohl am jeweiligen Männlein gelegen haben, an der unglücklichen Gesamtsituation im Vorort einer Kleinstadt oder schlichtweg am fehlenden Interesse ihrerseits. Das ist jetzt nicht mehr genau zu ermitteln. Und wer möchte das jetzt, nach all den Jahren, auch noch so genau wissen? Brigitte schon gar nicht. Ist sie doch auch ohne zusätzliche private Ermittlungen ohnehin mehr als deckend mit Arbeit versorgt. Die Farbschmiereien am Landtag, welcher hier nur das Schloss heißt, beschäftigen sie seit mehr als einer Woche. Die übergroße Tageszeitung mit den vier Buchstaben, macht auch ordentlich Druck. In Ermangelung von Kapitalverbrechen, stürzt sich die Lokalredaktion des Boulevards nun auf die erstmalige Verunziehrung und der damit verbundenen Entweihung des ehrwürdigen Gemäuers. Brigitte blättert in einem Ordner mit Klarsichtfolien. In diesen sind Fotos von allen aktenkundig geworden gleichartigen Sachbeschädigungen der vergangen fünf Jahre im Stadtgebiet der Landeshauptstadt ordentlich katalogisiert. Das dieser Ordner nicht sehr dick ist, ist augenblicklich schön für Brigitte, aber wenig unterstützend für die Ermittlungen. Könnten doch bei Gemeinsamkeiten der Bilder aus der Vergangenheit, mit ermittelten Schmierfinken und der Bildsprache des aktuellen Falls, auf die gleichen Täter schließen lassen, ähnlich einer Handschrift. Genervt und verstört von den unzähligen entrückten Botschaften der zum Teil stümperhaften Schmierereien, schlägt sie den Ordner geräuschvoll zu. Fazit, keine auch nur annähernd ähnliche Gemeinsamkeit mit dem frischen Farbauftrag ist dokumentiert. Der nächste Versuch auf die Spur der Täter zu kommen, ist die Verkehrsüberwachung. Sie muss sich sputen, alle Daten werden automatisch nach einer bestimmten Zeitspanne gelöscht und sie konnte sich noch nie merken was, in welchem Rhythmus und mit welcher Dringlichkeit dran ist. In der fensterlosen Überwachungszentrale der uniformierten Freunde und Helfer, wird sie schon erwartet und der Arbeitsplatz mit allen Daten der dem Schloss umliegenden Kameras und Geschwindigkeitsüberwachungen stapeln sich in der digitalen Ablage des für solche Fälle bereit gestelltenen Schreibtisches. Aber, nach was soll sie suchen? Klar, Auffälligkeiten, Jugendgruppen mit Kapuzenpullovern und Rucksäcken wäre der Klassiker! Wenn das Leben, mal so einfach wäre. Nach zwei Stunden, ist sie zwar bestens über das allgemeine nächtliche Verkehrsgeschehen der gesamten Innenstadt im Bilde, aber den Tätern ist sie sicherlich keinen Zentimeter näher gekommen. Endlich wieder von der Tür des Polizeitempels, reißt Brigitte sich das zarte Jäckchen von den Schultern und lässt sich von dem immer noch stattlichen Sonnenlicht fluten. Wie kann man bloß in solch einem Bunker seine Lebenszeit verbringen? Geblendet und gelähmt vom gleißend Licht, steht Brigitte fast wie eine Säule direkt vor dem Ausgang und präsentiert unbewusst und sicherlich auch ungewollt, ihren immer noch attraktiver als altersdurchschnittlich definierten, nur von Spagettiträgern bedeckten Schultergürtel. Das bleibt fast ungewollt von dem Handwerkertrupp, der zur gleichen Feierabendzeit aus dem Gebäude stürmt, nicht unbemerkt. Der Windhauch der vorbeihumpelnden Hotten und die Anerkennung jener Werktätigen, die sich mangels sprachlicher Eignung durch das Geräusch, welches durch das saugen und pusten von viel Luft durch Zahnlücken entsteht, bemerkbar machen, reißt Brigitte aus ihrer meditativen Pause und bringt sie zurück in den Geschäftsmodus. Erst als sie im Auto hinter dem Lenkrad Platz genommen hat, kann sie nun im geschütztem Raum darüber nachdenken, wie es nun weiter gehen kann. Der Schlüssel zum Täter, muss im Bild liegen, Bildsprache und Botschaft. Aber was soll die Botschaft sein? Auf den ersten Blick, war nur ein wildes buntes Etwas zu erkennen. Die Zusammensetzung der Farben wird grade im Labor untersucht. Mit den, trotz der Leere in ihrem Wagen, laut artikulierten Worten, "ich brauche Hilfe und ich weiß auch von wem", schließt sie für heute ihre Arbeitszeit ab. Punkt 17.00 Uhr rollt Brigitte vom Parkplatz in Richtung Einkaufsparadies, ein untrügliches Zeichen des privaten Lebens. Naja, lostloses Dasein, trifft es eher. Nachdem sie genervt von Discounter ihres Vertrauens mit zwei bis zum bersten gefüllten Taschen zurück zum Auto kommt, bemerkt Brigitte, dass beide benachbarte Autos so dicht an ihren Türen parken, dass ihr der Einstieg verwehrt zu sein scheint. Durch die unblockierte Kofferraumklappe des nicht mehr brandneuen Corollas, führt nun der Weg. Glücklicherweise trainiert sie montags von 19.00 Uhr an, ihre Beweglichkeit im Yogakurs der Volkshochschule und dass schon seit 12 Jahren. Anfangs fand sie die geschmeidigen Körper, welche sich fließend von einer Anstrengung in die nächste bewegen, inspirierend und irgendwie betörend, aber auch das verlagerte sich im zweiten Jahr auf die Vernunftebene. Mittlerweile betreibt Brigitte athletische Übungen nur noch aus gesundheitlichen Aspekten. Das der dunkelblonde Bube, der seit 50 Wochen schräg hinter ihr Aufstellung nimmt, sie mit verträumten Blicken überhäuft, bekommt sie gar nicht mit. Nun, jetzt und hier im Auto, kommt der große Moment. Fast, als hätte sie es einstudiert, hockt sie sich auf die Ladefläche des Kofferraums. Dabei zahlt sich wiedermal ihr Weitblick bei der Wahl der Karosserieform mit der Fließheckvariante aus. Die Taschen stellt sie vorsichtig neben sich und zieht die Klappe nach unten, bis ein deutliches klicken zuhören ist. Nun dehnt sie langsam aber deutlich ihr rechtes Bein. Zuerst noch leicht angewinkelt, zieht sie es an ihrem rechten Ohr in Richtung Frontscheibe vorbei. In einer einzigen Bewegung aus Drehung und Streckung ruht nun der Spann des Fußes auf der Kopfstütze des Beifahrersitzes. Im einarmigen Liegestütz verlagert sie ihren Körpermittelpunkt, krakenartig in Richtung Mittelkonsole des Fonds. Ohne auch nur die Spur einer sichtlichen Anstrengung, gelingt es Brigitte, sich aalartig zwischen Rückenlehne und Lenkrad auf den Sitz gleiten zu lassen. Das der Sicherheitsgurt bei dieser Aktion nicht gleich mit angelegt wurde, verwundert die mittlerweile vor dem Auto staunenden Passanten. Beifall ertönt zur Überraschung der Sportlerin, die ein wenig errötet. Gerade als sie den Motor startet und ausparken möchte, schlürft ein älterer Herr zu dem nebenstehenden Wagen und braust davon. Welch Ironie!
Aber nun geht's nach Hause, 69 qm, Q 3 a, Balkon mit Grünblick. Gott, was braucht man schon?
Schnell werden die Einkäufe in den Kühlschrank massiert und schon ruft die Wanne, für Brigitte ein ohrenbetäubender Lockruf, dem sie unverzüglich Folge leistet. Raus aus den Klamotten und mit dem Buch vom Nachttisch, einem Glas Rotwein und der langstieligen Bürste für Rücken und weit entfernte Körperregionen, ab in den gefliesten Raum zur Wellnesstime. 39 Grad, geaustes Telefon und einen dicken Pfirsichschaumberg, mehr braucht Brigitte im Augenblick nicht für ihren Miniurlaub! Die Vögel vor dem Fenster piepsen um die Wette und bilden den Klangteppich, ja den Soundtrack für die Erholung im feuchten Nass.
Nach dem mehrfach heißes Wasser nachgelaufen ist, um die Temperatur genussvoll zu halten, die Haut mit und ohne Bürste an allen erreichbaren Stellen bis zur gleichbleibenden roten Grundfarbe getrieben wurde und alle anderen Stellen schrumpelig von zu langem Wasserkontakt wurden, zieht sich die völlig entkräftete Brigitte am Rand der Badewanne wieder zurück ins Leben. Mit der Gewissheit, dass der heutige Abend mit einem Becher Schokoladencreme auf dem Sofa vor dem Fernseher enden wird, beseitigt sie mit geschickten Bewegungen die Spuren ihrer ausgiebigen pseudomedezinischen Anwendungen auf Emaille und Fliesen. Nachdem Brigitte nun das zweite mal kurz wegdämmerte entschließt sie sich, die Talkrunde auf der Mattscheibe zu beenden und ihr Nachtlager im dafür vorgesehenen Raum aufzusuchen.
Erholt und munter drückt sie fünf Minuten vor dem Weckerklingeln auf „aus“ steht auf, schlüpft in das wörtliche Substantiv und die dann folgenden Klamotten, bindet das immer noch volle Haar zum hinteren Tau und verlässt nach einer Tasse Milchkaffee voller Tatendrang die eigenen vier Wände.
Ihr erster Weg führt in das Großraumbüro, zur Teambesprechung. Da es keine neuen, größeren oder kleinen Katastrophen in ihrem Zuständigkeitsbereich ereigneten, konnte Punkt neun Uhr die Morgenrunde verlassen und sich auf den Weg machen, das Geheimnis der Schmiererei zu ergründen.




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