Moderat

Ist ja dem allgemeinen Sprachgebrauch nach, angemessen, bescheiden, dürftig, gelinde, gemäßigt, maßvoll, mittelmäßig, mäßig, ohne übertriebene Hast.

Das ausverkaufte Velodrom sprach heute eine ganz andere Sprache. Für mich bedeutet „moderat“ ab heute ungefähr soviel wie - umwerfend. Meine naturgemäße spärliche Brustbehaarung legte sich aufgrund der rhythmischen überstarken Bässe die penetrant und betörend gegen meinen Körper donnerten einfach flach hin und schwenkten  als Zeichen Kapitulation die weiße Fahne. Mit übertriebenen Enthusiasmus von allen anderen anwesenden Menschen, die seit durchschnittlich 30 Jahren die Entwicklung der Tasteninstrumente von Atari und C65 bis zur Jetztzeit mitbekommen haben, wurden Bewegungen im großen Tanzrund imitiert, die an Tanzkunst aus den Anfangsjahren des Computerzeitalters erinnert. Ich sage nur „Pong“! Ob es an den augenblicklichen Minusgraden der realen Außenwelt oder den geriatrischen Einschränkungen des nicht mehr taufrischen Publikums liegt, ist nicht ganz einfach zu entscheiden. Selbst bei mir (aka Betonhüfte) zuckten in einem kurzen unaufmerksamen Moment, unkontrolliert die Glieder.

More Data heißt jedenfalls das aktuelle Album der Band. Naja Band, nenne ich es eigentlich nicht, Spielvereinigung, Klangkombinat oder von mir aus auch Tonbrigade. Egal, bei dem Tempo der Veröffentlichungen, werden die drei ihrem Namen jedenfalls gerecht. Vier aus zwanzig Jahren. Warum diese Eile? Sorgfalt geht scheinbar vor Kommerz. Und was die Arbeiter der Tasten, Regler und Knöpfe, da so zusammen geschraubt haben, gefällt sogar Menschen wie mir, die bei dieser Art von Konzerten, echte stilbildende Gitarren und Schlagzeuge so schmerzlich vermissen. Hat man sich aber auf diesen Klangteppich erst einmal eingelassen, hebt er unverzüglich in die erdnahe Umlaufbahn ab. Er bewegt sich schwerelos in verschiedenen Tonfarben, mal sphärisch, mal schwungvoll, mal melodisch schräg, aber immer moderat. Irgendwann hat man das Gefühl, es braucht nie wieder andere Musik zu geben und was sind überhaupt Gitarren? Der unverwechselbare Markenkern der Namens, wird mit jedem virtuos kreierten Ton der Berliner Soundjäger, der aus den übergroßen Boxen klar und deutlich an die vielen tausend Ohren dringt, in Zement gegossen und an Kultstatus grenzend manifestiert! Die Jungs auf der Bühne genießen ihr Heimspiel im Rausch der Noten! Ein geselliges zusammenkommen mit Heimatliedern, stellt sich Florian Silbereisen sicher anders vor, aber Bitteschön, wir ticken ja auch alle sehr unterschiedlich. Ich werde zwar nicht grundsätzlich meine persönlichen Vorlieben für Musikgenre ändern, aber in der Phase von Altersmilde, die eine oder andere zusätzliche elektronische Abwechslung in der Playlist meines Lebens zulassen.

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