Brigitte und der neue Fall
- Georg

- 12. Jan. 2021
- 3 Min. Lesezeit
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Nachdem Brigitte ihren Schreibtisch gesäubert hatte und damit alle Spuren des letzten Falls in die dafür vorgesehenen Ordner, elektronischen oder fürs Regal, sortiert, sowie alle rumliegenden Reste in Kisten für die Asservatenkammer gepackt, beschriftet und von der Internpost hat abholen lassen, knipst sie ihre Schreibtischlampe aus. Mit der Jacke über dem linken Unterarm schlendert sie in Richtung Treppenhaus. Raus an die Luft! Sie hatte es sich schon lange zur Angewohnheit gemacht, nach einem erfolgreich abgeschlossenen Fall, einen Tag Urlaub zu machen. Ein bisschen das nachholen, was in den Tagen und manchmal auch Wochen davor, auf der Strecke blieb. Nun waren die Ermittlungen im Schlossmauerfall, wie die Schmierereien, welche zum Schluss keine mehr waren, offiziell genannt wurden, eher durchschnittlich intensiv. Also begrenzte sich Brigittes Nachholbedarf auf die frische mecklenburgische Luft und ein paar Sonnenstrahlen. Am kommenden morgen, klingelte der Wecker zu gewohnten Zeit. Überhaupt nicht miesepetrig, bewegte sich Brigitte aus dem Bett, zwei Räume weiter in die Küche. Zuerst macht sie sich einen Kaffee und dann holt den Picknickkorb aus dem Schrank. Das Buch, ein lindgrünes Kleines, eines völlig unbekannten Autors der irgendetwas mit Georgien schreibt, welches sie schon längst zu Ende geschafft haben sollte, ein wenig Obst und Selters sowie ein bisschen Nervennahrung aus dem Süßfach, passen bequem rein. Stranddecke und Handtuch über dem einen Arm und den Korb in der anderen Hand, steht sie Punkt sieben am Auto. Die Ostseeküste Ende Mai, ist im allgemeinen, auch unter der Woche, wohl nicht mehr einsam, aber ein ruhiges Plätzchen für ein gemütliches Sonnenbad wird sie sicher finden. Als sie kurz nach acht im noch verschlafenen Rerik ankommt, kann sie sich am Ortsrand, der gleichzeitig Festlandsende ist, noch einen Parkplatz in vorderster Reihe aussuchen. Auf ihrem Geheimweg, steigt sie nun den steilen und sehr steinigen Weg zum Wasser hinab. Gähnende Leere, nur Steine, Sand und Sonne, Sonne, Sonne! Nun breitet sie alles Mitgeschleppte aus, entledigt sich ihrer zweiten Haut und lässt sich ab jetzt, die Sonne auf den größten Muskel des Menschen scheinen. Nahtlose Bräune vom Scheitel bis zur Sohle.
In sicherer Entfernung, spielen zwei Mannschaften, nee, Mädchen-Teams, Frauschaften, Menschschaften, na jedenfalls Weiber, soviel ist dann doch noch zu hören, Volleyball am Strand. Irgendwann wird Brigitte aus ihren Erholungsschlaf gerissen. Ihr Kopf sank, auf nicht nachvollziehbare Weise, widerwillig auf die Seiten des Buches und ihr reichliches und ungebundenes, vom Winde verwehtes Haupthaar, bettete sie sanft etwa in Buchmitte. Gelegentliches jubeln, jodeln oder typische Ballaufschlagsgeräusche, schaukelten Brigitte sanft und genüsslich zur Tiefenentspannung. Doch nun ist das Gezeter groß. Jeder weiß, wie Mädchen schreien können, wenn sie geschockt sind. Multipliziert man das mit 11 und addiert noch zwei Trainer und zwei Betreuerinnen dazu, erreichen die Schallwellen schnell auch die fernen schwedischen Ufer auf der nördlichen Seite der Ostsee. Da kann niemand mehr schlafen. Geschwind verhüllt Brigitte ihre Blöße und eilt zur Lärmquelle. Ihr Instinkt verrät ihr, dass ihre professionelle Hilfe benötigt werden wird. Ein Mädchen, in knapp sitzendem Bikini, der Stoff dafür, hätte sittenkonform nicht mal für eine Barbie-Puppe gereicht, liegt mit unnatürlicher Körperhaltung im Sand. Aus ihrem Mund rinnt weißer Schaum. Ein Mann und eine Frau, jeweils im mittleren Alters, sind über sie gebeugt. Die meisten anderen Mädchen stehen in kleinen Gruppen möglichst weit weg. Ein Mädchen sieht bewusst weg und ein anderes bewusst hin. Als Brigitte schnur stracks zum liegenden Mädchen eilt, tritt ihr der zweite Mann der Runde entgegen. Mit einer resoluten Armbewegung, wischt Brigitte der Mann von den Beinen. Selbst überrascht von der Wirkung ihres Tuns, entschuldigt sie sich und stellt sich vor. Damit sollte ihr gesteigertes Interesse hinreichend begründet sein. Die Frau, welche sich über dem Mädchen gebeugt ist, stellt sich als Frau Doktor Thomas vor und beginnt hektisch auf dem viel zu kleinen Bikini-Oberteil rum zu drücken. Brigitte wird flau im Magen und es liegt nicht am fehlenden Frühstück. Nach fünfzehn Minuten harter Arbeit von Frau Doktor Thomas und dem nebenknieenden Mann, werden alle Aktivitäten eingestellt. Die umstehenden Mädchen verstärken das Dauergeräusch, falls das noch möglich war. Mit leeren Blick dreht Frau Thomas den Kopf zu Brigitte und tonlos gibt sie den Tod von Anna Milovok bekannt.





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