Zwei Räder für ein Halleluja
- Georg

- 31. März 2022
- 2 Min. Lesezeit
Tropfen für Tropfen, rinnt der Beweis der Mühe von der Stirn über die frisch rasierte Wange hinab zum Kinn. Von dort, der Schwerkraft folgend, markiert die Flüssigkeit die auf den Asphalt trifft, die Erfolgsspur der 5-einhalb bar Tubelessbereifung.
Es ist nicht so, dass Claude aus Maastricht irgendwelche gesellschaftliche Anerkennung sucht. Es ist so, dass Claude aus Maastricht auf dem Pfad ist. Dem Trainingspfad gegen das Tier in ihm selbst. Das Tier heißt wie er, ist genauso alt wie er, wohnt tief in ihm und fühlte sich die letzten Wochen pudelwohl.
Seit ein paar Tagen wird das Tier nicht mehr wie gewohnt mehrmals täglich mit „Frieten“ gefüttert, sondern mit Salat und Möhren! In der Gürtellinie hatten sich über die vergangenen Monate auch Neuigkeiten ergeben. Gepolsterte Falten! Gepaart mit der inneren Unruhe und dem schleichenden schlechten Gewissen, ein dauerhaftes Waterloo der eigenen Seele! Nun, Anfang März, wird wieder alles anders. Verschwunden sind die Nebelwände, die morgendlichen kristallinen Überzüge auf Pfützen und das matte Grau des atlantischen Winters der sich über die Ardennen schiebt. Allenfalls launische Schauer, versprenkelte Ausläufer niederschlagsgeschwängerter Luft, welche auf kontinentale Landmassen trifft, bereiten Claude willkommene Abkühlung der überhitzten Muskeln. Die erstaunliche Kraft der unmittelbar darauf folgenden ersten Sonnenstrahlen und der lebhafte Wind lassen die schwarze Unterlage auf der Claude unterwegs ist, in Rekordzeit wieder trocken. Hätte Claude eine globalere Sicht auf die Zustände, hätte er bemerken können, dass zahlreiche Leidensgenossen in viel zu engen, viel zu bunten Outfits gepresst, auf viel zu teuren, nur knapp 7 Kilogramm leichten Hightech-Maschinen ohne Straßenzulassung unterwegs sind. Erdrückend mehrheitlich quälen sich Männer in den mittleren Jahrgängen über die Landstraßen der nördlichen Himmelssphäre. Ob der astralisch zum Halbmond gekrümmte Rücken ausschlaggebend für diese Selbstkasteiung ist, vermag Claude auch nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
So muss aus dem Hubschrauber geschaut, das aus der Winterstarre erwachte Land aussehen, wie das Spielfeld von „pacman“, eines der ersten wirklichen Computerspiele. Knallbunte blinkende Lämpchen rasen durch die Gegend und sammeln Prämien, gejagt von den hungrigen Geistern. Wobei erst noch abzumachen ist, wer wer ist.
Obwohl der Radsport für Claude in erster Linie ein Training für seine sterbliche Hülle ist, reflektiert er auf den zeitlich ausgedehnten Routen über die weiten waldreichen Täler und sanften Bergkuppen des Mittelgebirges, dass die Beschäftigung mit nix außer seinem Körper, seiner geistigen Verfassung gut tut. Die Reduktion auf das Elementare, die unmittelbar nächste wichtige Aufgabe, hilft in Zeiten der maximalen Reizüberflutung, einen möglichst menschlichen Umgang mit den Problemen des Alltags zu finden. So gelingt es Claude nicht nur körperlich geläutert aus dem 250 Kilometer Wochenende zu kommen, sondern auch mental gestählt seine täglichen Verrichtungen in der schrill-bunten mitteleuropäischen Gesellschaft zu bewältigen. So ist das Sportgerät, dessen Satteldruckpunkt auch über die gesamte Woche noch in der Zwickelgegend einen latenten Phantomschmerz verursacht, vielleicht überteuert, aber Claude kann sich die Checks sparen, die sonst an seine Seelenklempner gehen würden.




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