Saskia, Soundbouletten und…

Peng, mit einem Knall gehts los! Fünf bunt zurechtgemachte Altrocker um die fünfzig, bearbeiten ihre Instrumente als würden sie mit Aliens oder unbekannten Tiefseebewohnern Ringkämpfe nach nicht olympischen Regeln abhalten. Wer gewinnen wird, scheint auch nach genauerem hinsehen, absolut unklar. Die individuellen Kampfgeräusche vereinigen sich auf wundersame Weise orchestergleich zu bekannten Gesamtlautmalereien. Saskias ungeteilte Aufmerksamkeit ist auf die Bühne gerichtet! Verdrängt sind alle Qual des Einlasses, alle Alltagssorgen und auch die ungeklärte Situation mit Leon, gerät in die unteren Schichten des Ablagesystem, in der Dringlichkeit sehr weit runtergestuft. Vom ersten Takt an gerät die Welt der Zuschauer ins wanken. Eine wilde unkalkulierbare Masse aus fleischig, schwitzig und haarigen Zellansammlungen unterschiedlichsten Ausmaßes, wanken, schwanken und schwingen im bedrohlichem Maße. Saskias rechter Arm ist im Prinzip als Rettungsanker mir dem Geländer der Absperrung untrennbar verbunden. Damit scheint die Gefahr, in den immer wieder heimtückisch aufflammenden Strudeln eines „moshpit“ gezogen zu werden, vorläufig gebannt. Sie lauscht fast andächtig den etwas ruhigen Stücken und schüttelt ihre 59 kg wie besessen, als die Drumsticks sehr viel beherzter die Trommelfelle und Becken des Schlagzeugs und gleichermaßen der Zuschauer bearbeiten. Die Subwoofer aus dem Graben vor der Bühne, lassen ihr T-Shirt auch wackeln, als sie kurz ruhig zum stehen kommt! Die „Soundbouletten“ gehen wahrlich unter die Haut!

Alle Sinne Saskias sind in Alarmstellung und nur so ist es zu erklären, dass sie bei diesem babylonischen Durcheinander, jetzt klar im Blick hat, wo sich der auffällig tanzende bärenhafte Hüne und sein etwas smartere Betreuer aufhalten. Sie zirkulieren in Blickkontaktentfernung!

Ohne das Saskia von den Aktivitäten der Bühnenbesatzung abgelenkt wird, notiert ihr Unterbewusstsein viele fast unscheinbare Eigenschaften, welche sie Leon zuschreiben kann. Als sie merkt was sie tut, ist sie entsetzt! Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Leon ihr nicht egal ist. „Warum muss das eigentlich immer so kompliziert sein?“

Als Leon die junge Frau per Muskelkraft zwischen sich und Wolle gestellt hatte, machte es Peng im doppelten Sinne. Auf beides hatte er mehr oder weniger sehnsüchtig, ohne es wirklich gewusst zu haben, gewartet. Das eine Peng, welches auf der Bühne losging und für alle anderen siebzehntausend Musikverrückte der Startschuss zum Konzert war, war noch das am ehesten Erwartbare. Das andere Peng passierte nur in ihm. Für ihn selbst mindestens genauso laut. Sein Kopf war erdbeerfarben beleuchtet, die Zunge bleischwer und das Herz fuhr Achterbahn. Alles sehr willkommen aber alles zeitlich extrem unpassend. Hatte er sich doch auf eine wilde Punkrockschlacht im Rausch der Menge gefreut, blockierte ihn nun die Gefühlsentwicklung. Um seine verwirrende Unsicherheit nicht zu zeigen und weil er es sowieso vor hatte , hopste er mit seinem Lieblingsnachbarn wie angestochen im Takt der ersten Darbietung. Flüchten konnte die Verursacherin seiner Überwältigung ja in den nächsten Stunden nicht! Das verschaffte ihm im doppelter Bedeutung Raum. Erstmal körperlich, weil es nunmal bei energiegeladenen proportionierten 90 kg auf einmeterneunzig nicht anders geht, als respektable Abstände einzufordern und zeitlich Raum, um sein inneres zu ordnen. „Warum muss das eigentlich immer so kompliziert sein?“