Saskia
- Georg

- 18. Mai 2022
- 4 Min. Lesezeit
Saskia
Saskia ist anders. Also nicht im Sinne von einfach, deppert oder behindert. Saskia hat sich nur anderes entwickelt als die meisten anderen jungen Frauen. Man kann nicht sagen, dass sie es schwer hat im Leben. Sie wohnt in einer schönen zwei Zimmer Wohnung in Köpenick Nord, nur fast zehn Minuten mit der Tram bis zum Bahnhof, aber dafür schön grün, wenn man von der Durchfahrtsstraße absieht, beziehungsweise weghört. Bis zur Arbeit im Bezirksgericht als Sachbearbeiterin für Dies und Das, braucht sie mit dem Fahrrad bei gutem Wetter zwanzig Minuten mittelmäßige Anstrengungen. Erholen kann sie sich ja im Büro ohne Kontakt zur Außenwelt! Das war ihre Bedingung für die Jobwahl, keine Menschen!
Schon im Kindergarten war sie lieber alleine, saß in der Ecke des Sandkastens und wartete auf ihre Abholung sehr geduldig auch mehrer Stunden, während die anderen Kinder auf Entdeckungsreise gingen, erste Freundschaften schlossen und auf Bäume und Hausdächer kletterten. In der Schulzeit dann, verbannte sie alle mädchenhafte Kleidung und ebensolche Spielzeuge aus ihren Regalen und Schränken! Schwarz oder maximal anthrazit in allen möglichen Abstufungen, also keine, kleideten sie nicht grade farbenfroh. Eine Spiegelung der Seele! Auch der Hang zum Oversizebekleidung stammt aus dieser Zeit! In der Schule hatte sie es mit ihrem Styling nicht immer einfach. Saskia ist nie kontaktschwach gewesen, nur hat sie sich nie angebiedert. War es etwa ihre Schuld, dass es in ihren Jahrgängen keine Grufties, Punks oder Rocker gab? Andere Mädchen hatten blondierte Dauerwellen, abwechslungsreiche, der Mode unterworfene aufregende Trendfrisuren, Saskia hatte Haare, immer!
Auch die Themen, welche ihre Altersgenosseninnen bewegten, mal flüsternd, mal schreiend laut, mal offen, mal versteckt, deckten sich nie mit ihren Interessen. Sie hatte keine ausgeprägten Hobbys, Interessen oder Talente, die es aus ihrer Sicht zu fördern lohnte.
Vielleicht trifft es das Wort Mauerblümchen, wenn man sich vor dieser Verwendung darauf einigt, dass solche Pflanzen nicht blühen. Bestenfalls bei guter fortlaufender Nichtbeachtung der Gesellschaft, ein flottes steingrau tragen oder eine vergleichbare schüchterne Wandfarbe. Sie macht alles mit und ist immer dabei, nie in der ersten Reihe und selten motivierter als der Durchschnitt. Die Leistungen im Unterricht waren gleichbleibend, ein bisschen schlechter als zwei, in allen Fächern. Mit den Jungs hat es nie wirklich geklappt. Zuerst gab es beidseitig nur mittelmäßiges Interesse und es fehlte zu guter Letzt auch noch das Quäntchen Glück, welches es zwingend braucht, um etwas Besonderes entstehen zu lassen!
Saskia hat nun ihr Leben vernünftig eingerichtet. Keine teuren Laster, alles ein gleichförmiger Brei ist Freizeit und Arbeit. Sie mag zuverlässig berechenbare beidseitige Geländer im Korridor des Lebens. Zufall ist ein Risiko und Risiken sind generell für Saskia ein Graus. Die Schlagzeilen der Nachrichten berühren sie kaum. Ihr ist einigermaßen egal , wie teuer Benzin grade ist, ob die Bierpreise steigen oder ob die Kitagebühren abgeschafft werden. Als Beamtin im mittleren Dienst, hält sie es sehr bequem mit ihrem Salär aus und muss auf nix verzichten! Groß sind die Bedürfnisse eh nicht! Ab und an ein Ticket für eine der Lieblingsbands und ein dazugehöriges T-Shirt mit möglichst verstörenden Bildnachrichten in freundlichem schwarz vom Merchandisingtisch. Ein paar Biere am Wochenende und Tabak, „javaanse jongens“ schon aus Kultgründen.
Ihre Sozialkompetenz ist überschaubar. Geschwister gibt es nicht und die Eltern verbringen ihren Lebensabend in Valencia, Verona oder sonstwo in Griechenland. Und das ist auch für alle Beteiligten bestens so! Saskia wird nicht genervt mit Schwiegersohn- oder Enkelwünschen und ihre Eltern sind nicht so doll enttäuscht, wenn Saskia nicht dauernd am Kaffeetisch sitzt! In fünf Jahren war sie einmal bei Ihnen im Süden, immerhin kann Saskia sich das merken!
Direkte Freundschaften unterhält Saskia auch nicht. Petra aus Ihrer Ausbildung, telefoniert hin und wieder mit ihr, das aber aus sicherer Entfernung. Frau Müller aus dem Erdgeschoss, kann sie noch am besten leiden. Mit der dort ausgeliehenen Promenadenmischung geht Saskia dann und wann eine große Runde im nachegpelegenem Wäldchen. Das war’s.
Keine Kumpelinen, keine Verehrer, nicht einmal ein ons war in den letzten Jahren am Start! Vermissen tut Saskia aber nix. Der Kühlschrank ist immer ausreichend gefüllt und wenn sie auf dem Sofa liegen möchte tut sie das, schmutzige Fenster oder volle Papierkörbe hin oder her.
Nun entspricht Saskia auch nicht uneingeschränkt dem gängigen Schönheitsideal. Aber wer tut das schon. Das Gesicht ist nicht absolut symmetrisch, was falls sich doch mal ein Augenpaar darauf niederlässt, eher eine Einladung für genaueres hinsehen ist, als eine Abschreckung! Unter den diversen Lagen schlabbriger Obertrikotagen verbirgt sich ein wohlproportionierter Frauenkörper, mit mindestens durchschnittlichen geschlechtsspezifischen Highlights. Da Saskia ein maßvoller Mensch ist, muss sie sich auch nicht dauernd mit Diäten oder Ernährungsplänen rumärgern. Es läuft wie es läuft, mit ausgewogenen BMI!
Sie liest hin und wieder ein Buch aus der Bibliothek. Fotsafaries und kulinarische Reiseführer sind ihre Favoriten. Einen grünen Daumen hat sie noch nie gehabt. Die zwei Topfpflanzen haben es traditionell schwer bei ihr und den Balkon hat sie bis auf ein paar Kräuter in all den Jahren nicht bepflanzt.
Ihr Urlaub geht seit eh und je für Tage und Wochen drauf, bei denen sie durch die Lande zieht und Abend für Abend vor Bühnen und Boxentürmen Position bezieht. Dabei trifft sie oft auf die ebengleichen Gestalten. Heimliche Geistesverwandte so zahlreich, dass sie sich in lichten Momenten fragt, was die wohl so am Tage treiben und warum im täglichen Straßenbild immer alles so bunt sein muss! Sie wandeln irgendwie starrsinnig herum, den Anschluss an die bürgerliche Welt haben sie nie gefunden und auch nie gesucht! Wenn es dann zu nachtschlafender Zeit aus den Boxen rappelt und wummert, die Scheinwerfer endlich ihre Lichtblitze durch den Saal schicken, ja dann lebt Saskia! Für wenige Stunden fällt die unerträgliche Last des Lebens von ihren Schultern. Saskia empfindet Leichtigkeit, Enthusiasmus, Leidenschaft, Herzblut! Das ist die Zeit in denen sie ihre Batterien füllt, sich das Fell wachsen lässt, welches nötig erscheint, den Trott des Alltags zu ertragen! Je ungestörter, unbeobachteter Saskia sich austoben kann, desto energiegeladener kommt sie wieder nach Hause! Saskia ist der beste lebende Beweis dafür, dass zum Leben nicht nur Brot und Wasser nötig sind. Der Bedarf an Tour, an Kultur und an gelebten Kult ist essenziell, unabdingbar grundsätzlich wie Luft zum atmen.




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