Papa Georges
- Georg

- 10. Feb. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Dez. 2022

Meine Geschichte fängt zwar nicht unmittelbar in Russland an, aber ohne dieses riesige unkalkulierbare Reich, geht es eben auch nicht! Weder in meiner, noch in der Geschichte Europas.
19.. in den Dreißigern.
Ein linksverträumter frankophiler Schweizer trifft auf einer Reise in den aufstrebenden Sowjetstaat, eine estnische junge Frau aus jüdischem Hause.
Er Bauingenieur, Sie ausgebildete Sängerin. Er deutlich älter und schon einmal vom Eheleben gebürstet.
Ebenfalls 19.. Dreißigern.
Im Zentrum des damaligen Europas, im Gebiet irgendwo zwischen Dresden, Wien und Sudetenland. Kommunistischer sächsischer Jungsporn trifft (da man ja nicht nur von der Revolution lebt) auf eine der bitteren Armut Böhmens in das politische Chaos der Zeit entlaufende junge Frau.
Also wer jetzt behauptet, ich hätte mir das alles ausgedacht, der lügt. Oftmals schreibt das Leben die besten Stories.
Der galante Schweizer nimmt mehr oder weniger die qua ihrer Abstammung von antisemitischen Strömungen in Russland verfolgte Frau, kurzerhand mit nach Westen, in den scheinbar sichern Hafen der Ehe. So ganz sicher war es dann wohl doch nicht. Kriegswirren, die größer werdende Familie, zwei Kinder und die politischen Wirren des Protagonisten selbst und dessen Nichtkompatibilität zu den jeweiligen, wenn auch temporären Machtgefügen, waren wohl für ein Leben auf gepackten Koffern in den kommenden Jahren verantwortlich. Ein Leben irgendwo in Frankreich oder der Schweiz. Aus heutiger Sicht gibt es durchaus scheußlichere Orte an denen man über dem Zaun hätte hängen können.
Der Sächsische Junglehrer mit dem falschen Parteibuch, wurde wegen politischer Vergehen polizeilich gesucht. Und so war die letzte offizielle Schiffspassage nach England, wohl die einzige lebensrettende Möglichkeit für ihn. Die junge Böhmin, entschied sich, alle Strapazen und Risiken auf sich zu nehmen und einer gemeinsamen angelsächsischen (immerhin sächsisch) Zukunft bei zu wohnen.
Aufgrund der räumlichen Nähe der Unterbringung im exilen England, sagt ja schon der Name, konnte folgenreicher Körperkontakt nicht verhindert werden. Zwei mir bekannte Kinder sind Produkte dieser Jahre.
Wenn ich meine jungen Erwachsenenjahre mit meinen kleinen Kindern mit dieser Zeit vergleiche, bin ich doch extrem froh, gemessen an diesen Sorgen, eine absolut unbeschwerte Zeit auf den Spielplätzen, Elternversammlungen und in Kinderarztvorzimmern verbracht zu haben.
Nach 1945 setzten, wie es nach Kriegen üblich ist, Völkerwanderungen ein.
Die junge Familie meiner Mutter kam aus England mit meiner jungen Mutter in das doch sehr zerstörte Berlin. Dort bezogen sie eine durch Zauberhand unzerstörte Wohnung im Tiroler Viertel in Pankow, einen Steinwurf von meiner augenblicklichen Heimstadt. Opa Hans war Mitbergünder des Kulturbundes der DDR, meine Oma Dolly war im Lohnbüro bei Elektrokohle Lichtenberg tätig, meine Mutter Karin Änne und Ihre Schwester Margarethe wurden in die Schulen eingeschult, in denen teilweise ihre Enkel auch die Schulbank drückten oder die Turnhalle verschwitzten.
Die politische Neuausrichtung an den Gegebenheiten in Europa nach 1945 waren auch in Frankreich so elementar, dass der Illusionist eher ein Exil in dem neugegründeten Arbeiter und Bauernstaat ins Auge fasste, als im nun dauerhaft im Amerikanismus verankerten Westen zu bleiben. So zogen Großvater, Papa Georges, Großmutter Mémé, Sohn - mein Vater Marcel sowie Tochter Liliane, nach Berlin. Kinder und Mutter lernten sehr schnell deutsch und der Großvater stieß beruflich und intellektuell schnell an die engen Grenzen, die es in dem selbstgewähltem Exil für die nächsten 40 Jahre geben sollte.
Ansonsten waren die ersten Jahre meiner Eltern in Berlin geprägt vom allgemeinen Mangel, lernen, groß werden, politischen Engagement.
Beide machten exzellente Schulabschlüsse und empfahlen sich klassenbewusst für höhere Bildungsziele. Sie landeten irgendwie zum Studium in Dresden und liefen sich dort auch über den Weg oder in die Arme. So ganz genau will das ein Kind von seinen Eltern auch nie wissen. Durch die schiere Präsenz seiner selbst, ist es ja gewahr, dass passierte was immer auch passieren musste.
Einer dauerhaften Beziehung und bürgerlichen Ehelichung standen nur noch bürokratische Hürden entgegen. Alle erforderlichen Genehmigungen der schweizerischen Behörden und aussagekräftige Beweise der eigenen Geburt in den Kriegswirren außerhalb der real existierenden DDR in den 60iger Jahren zu erhalten, stelle ich mir mindestens genauso schwierig vor, wie heute den Umzug mit schulpflichtigen Kindern während eines Schuljahres von Berlin ins Saarland.
Da, wie ich aus eigenen nicht immer freudigen Erinnerungen weiß, dass meine Eltern wirklich beharrlich sein können, gelang das Vorhaben und meine große Schwester kam nicht unehelich 1963 auf die Welt.
Die kleine Anne wurde dann zum allseitigen Vorteil, teilweise in die Obhut von Mémé in Wilhelmshagen gegeben. So konnte die junge Mutter weiter studieren. Bis ja bis der Bauch wieder runder wurde. Der große Bruder kündigte sich an. André kam im Herbst 1967 in Dresden zur Welt. Ein Sachse, irgendwie ja auch Familientradition.
Zur Tradition gehört sicherlich auch, dass die Schwester meiner Mutter in ein ziemlich normales DDR-übliches Leben fand. Mit Höhen und Tiefen, wie es eben so war. Obwohl sicherlich nicht alles aussuchbar war, war es nicht menschenunwürdig obwohl man auf die eine oder andere Unannehmlichkeit oder Härte auch gern verzichtet hätte.
Meine Tante väterlicherseits, verzichtete auf staatliche Lenkung und machte in den Semesterferien ihres Bühnenbilderstudiums einen Campingurlaub in Algerien. Alleine, als Frau in ihren Zwanzigern und in den absoluten `60 Jahren. Solch breite Hosenträger hätte ich heute auch gern. Dort lernte Sie einen Mann, ihren Mann kennen. Gemeinsam träumten sie im gemütlichen Zelt in den Bergen des Atlasgebirges, den Arabischen Frühling, 45 Jahre vor dessen Ausbruch.
Er, Nordine, könne ja in die DDR mitkommen und dort studieren, so der O-Ton. Na klar, warum nicht auch manchmal träumen? Gesagt getan, ein halbes Jahr später waren sie gemeinsam da und studierten, sie weiter Bühnenbild und er Regie.
Nach dem Studium gingen beide für die nächsten 25 Jahre nach Algerien, wurden sesshaft und bekamen 3 Töchter.
Meine Eltern, aus Paris und Northampton, wurden die besten DDR Bürger der Welt, glaubten ihren Traum und arbeiteten mehr als viele andere für die Verwirklichung der Beschlüsse des X. Parteitages, oder so ähnlich. Ich möchte nichts davon werten, es stünde mir glaube ich auch nicht zu. Ich glaube nur, hätte nur die Hälfte der Bevölkerung des Arbeiter und Bauernstaates genauso reingehauen wie meine Eltern, dann hätte es wirklich funktionieren können. Wäre, wäre Fahrradkette!
Wenn jetzt der Eindruck von Trauer über die Umwälzung des Jahres ´89 entstand, muss ich das wohl grade rücken.
Ich empfand das System in dem ich zur Schule ging, vorsichtig ausgedrückt, als nicht wählbar.
Die Veränderungen, der Fall der Mauer und alle Folgen, kamen wie für mich gemacht zur absolut richtigen Zeit. Klar, hätte ich wenn die Mauer drei Jahre früher gefallenen wäre, noch ganz andere Möglichkeiten gehabt. Aber niemand sagt mit, ob ich diese auch genutzt hätte. Ich bin nicht vermessen und danke dem Intendanten des Theaters „Zufall“ welcher für mich die Inszenierung des Stückes, was Leben heißt. vorbereitet hat. Ich bin dort weitestgehend selbst Regisseur, Hauptdarsteller und seit Sozial-Media, auch noch Kameramann. Zuschauer werde ich wahrscheinlich auch noch, wenn die Kräfte weiter schwinden. Wer weiß schon, was das Schicksal vorbereitet hat, möglicherweise auch die Rolle des Papa Georges. Es bleibt spannend und endet absolut tödlich, wie ein wirklich guter Krimi! Was will man mehr?





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