Na bitte, Brigitte! Kimi in acht Teilen
- Georg

- 8. Jan. 2021
- 4 Min. Lesezeit
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Zurück am Schreibtisch, ploppte auf Ihrem Bildschirm eine Erinnerung aus ihrem Kalender auf.
- Heute 12.00 Uhr Dr. Müller, Augenarzt-
Au Backe, das habe ich nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Gut das es diese elektronischen Helfer gibt, denkt sich Brigitte. Dann folgen allgemeine Büroarbeit, den ausführlichen Bericht des Labors durch lesen, verstehen und in das System einpflegen. Bericht über die Aussagen von Willy und Herrn Prof. a.D. Recht verfassen noch Dies und Das erledigen und schon ist es kurz nach elf.
Ab in Richtung Augenkontrolle. Eigentlich kein großes Ding , aber nach der vererbbaren, in schlechten Verläufen, bis zur Erblindung führenden Krankheit ihrer Großmutter mütterlicher Seite, bemüht sie sich ein mal jährlich zur Kontrolle bei Frau Dr. Müller zu gehen. Im Auto angekommen, plärrt sofort nach dem Start des Motors das unsägliche Autoradio. Normalerweise ist es nur für die aktuellen Wetter- und Verkehrsnachrichten zu gebrauchen. Musikauswahl sowie Redebeiträge sind eher nervig und dann noch die Werbung, oh je. Hinweise für die Schnäppchenjäger, wo 8 Liter Salatöl im Angebot sind oder bei welcher Hausbaufirma ich zum Einzug in drei Jahren eine Herrenarmbanduhr als Gimmick bekomme. Alles im Normalfall sehr verzichtbar. Aber jetzt im Moment, zieht die Moderation Brigittes Aufmerksamkeit auf sich. Es geht um ihren Fall und um die kursierenden Berichte und Gerüchte. Von Schunderwöhnen Geschmacksirretationen, über Verschwörungstheoretiker, bis hin zu Bandenkriminalität, ist alle drin. Brigitte schreit das Radio an: „ Ihr seid hier in Schwerin, da ist das schlimmste was passiert, das der 15 jährige Schwererziehbare, einen Hund vor den Bus schubst!“
Egal die Moderatorin kann sie ja nicht hören und so sagt diese im verschwörerischen Tonfall den Titel Black Hole Sun von Soundgarden an und Brigitte fragt sich nun verdutzt, wieviel der vermutlich tatsächlichen Geschichte schon durchgesickert ist und von wem? Kleinstadtgossip!
Bei Frau Dr. Müller geht es dann schnell. Keine krankhafte Veränderung der Iris festzustellen. Es werden die Fotos des rechten Auges von Brigitte verglichen. 4 Fotos aus 4 Jahren. Frau Doktor nimmt sich die Zeit und erklärt Brigitte noch einmal ganz genau, worum es geht.
„Schau´n Sie hier, der Ring um Ihre Iris!“
„ Der kleine weiße Rand hier?“
„Ja, genau! Der ist auf allen vier Aufnahmen gleich groß, keine signifikante Veränderung!“
„Ist das nun gut oder schlecht?“ Und beim Wort „schlecht“ wird Brigitte wirklich schlecht, weil sie erkennt was offenkundig ist. Die Parallele zu Ihrem Fall. Wenn man das Foto nur weit genug ranzoomt, entspricht es nahezu einer Kopie der Wandschmiererei am Schloss. Wieder läuft ein kalter Schauer über ihren Rücken, aber Gott sei Dank, bleibt auf der Vorderseite alles unverändert ruhig.
„Schau´n Sie,“ fährt Frau Müller nun fort“ hier der Ring ist förmlich, wie die Korona der Sonne, fast nicht wahrnehmbar und solange dieser helle Kreis, Ihre Sehkraft nicht beeinträchtigt, ist alles in Butter!“
Mit neuem Augen-TÜV und dem Termin für nächstes Jahr, verlässt Brigitte nach nur zwei Stunden die Praxis in Richtung fußballfeldgroßem Parkplatz.
Hinter dem Lenkrad auf dem Fahrersitz drückt sie zuerst auf die Aus-Taste des Radios. Sie muss nachdenken. „Was ist, wenn es nicht ein Sonnenloch ist, wenn es ein Ring ist? Ein Ring der Macht? Gab`s da nicht so etwas im Bereich der Erzählungen, der Fantasie? Korona, sagt mir auch irgendwas, aber was?“ fragt sie sich halblaut.
Sie muss noch einmal mit dem Sternenfuzzy reden! Der Motor springt zuverlässig an und treibt das Gefährt geschwind zur Sternwarte.
Dreimal kurz und die Erkennungsmelodie aus dem Haus erklingt. Diesmal ist Herr Recht, doch sehr überrascht, aber nicht minder erfreut Frau Kommissarin zu begrüßen. Sehr geduldig lässt sich Brigitte auf die Konversation mit dem deutlich unausgelastetem Endsechziger ein.
„Frau Hartling, sie kommen zur falschen Jahreszeit. Im Spätherbst kann man die besten Beobachtungen machen, kommen sie dann doch bitte wieder und ich erkläre ihnen gern die komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Himmelskörper!“ Reflexartig möchte Brigitte antworten, dass sie genau darauf brennt, aber sie schaltet in den Berufsmodus!
„ Leider, Herr Recht, werde ich nicht warten können, bis die Tage kühler sind! Ich möchte gerne möglichst jetzt wissen, was eine Sonnen-Korona ist und ob auf diesen Bildern ein Schwarzes Loch oder eine sogenannte Korona zu sehen ist!“ Die Fotos breitet sie sehr geschwind in loser Folge auf seinem Schreibtisch aus.
Er berichtigt die Anordnung der Fotos und sortiert diese genauso wie Willy diese hingelegt und gedreht hatte. Ein ungutes Gefühl steigt langsam aber merklich in ihr auf, anmerken lässt sie es sich aber nicht.
„Wenn Sie schon soviel über diese Spektakel am Himmel wissen, warum , meine Teure, kommen Sie dann noch zu mir?“
„Nun ja, ich brauche Gewissheit! Und Ihre Expertise, scheint mir mehr als ausreichend um Überflüssigkeiten oder Fehlleitungen, auch mit „s“ an der richtigen Stelle, auszuschließen!“
„Danke, für die Blumen, nun ich werde Ihre Erwartungen sicherlich übertreffen.“
Mit einer Lupe, die so groß ist wie ein Tennisschläger und einen beleuchteten Rand besitzt, schreitet Herr Professor Recht zur Tat. Nach unzähligem räuspern und dauerhaften Kopfschütteln in alle Richtungen, legt er alle Bilder und die Zweihandlupe mit sichtlicher körperlichen Erschöpfung nach ungefähr fünf Minuten auf die Schreibtischplatte.
„Nun, ich bin der absoluten Überzeugung, dass es sich um eine Abbildung der Sonnenfinsternis von 1982 über den Anden handelt. Das besondere und unverwechselbare Merkmal an diesem Ereignis war, die Vollkommenheit der Sonnenfinsternis. So und nur so konnte man mit bloßem Auge erkennen und auch durch sämtliche Hobbyfotografen dokumentieren, was für eine fantastische Korona die Sonne hat. Die Dichte der Sonnenschichten, nimmt nach außen rapide ab, im gleichen unvorstellbaren, millionenfachem Maß, nimmt die Temperatur zu, sodass...“
„Danke, Herr Professor, das genügt mir vollkommen!“
In Windeseile hat Brigitte die Fotos, die jetzt kreuz und quer auf dem Tisch liegen, wieder in ihrem Umschlag und ist auf dem Weg zu Ihrem Auto. In der Tür stehend, dreht sie sich noch einmal um und verbeugt sich tief, in einer flüssigen schwungvollen Bewegung, vor der wissenschaftlichen Meinung des Professors, aber keinen Zentimeter vor dem alten patriarchischen Schnösel, welcher ebenso in diesem vornehmen Anzug steckt.





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