Meine Europe Open!
- Georg

- 8. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Nov.

Ich spiele weder Golf noch Tennis und mit einem internationalen Sportwettkampf hat der nachfolgende Text eigentlich auch überhaupt nichts zu tun.
Auch wenn ich genau weiß, dass es in der Regel Frauen sind, die eine Familie prägen, alles am laufen halten, sich einfach kümmern - auch wenn es nicht immer einfach ist, möchte ich hier versuchen, meinen männlichen Vorfahren ( Singular: Opa - Plural: Open) näher zu kommen, sie selbst näher kennenzulernen, unter den besonderen Umständen des letzten Jahrhunderts, Teile ihrer verschlungenen Lebenswege sichtbar machen. Und natürlich werde ich hier und da auch selbstverständlich den außergewöhnlichen Leistungen der entsprechenden Frauen huldigen, aber fangen wir doch einfach mal an…….!
1930 er
Es war mal ein junger sächsischer Mann, der mit dem Herz auf der linken Seite in der Brust in, sagen wir mal, bedrohlichen Zeiten lebte. Es sind noch nicht mal ganz 100 Jahre vergangen seit dem und trotzdem drängen sich hier und da Parallelen auf. In politisch instabilen Zeiten, war der Johannes (Jan oder schlicht Hans) für sein Gewissen unterwegs. Die NSDAP hatte grade die Macht ergriffen und dem dynamischen Volksschullehrer mit dem unorputunen Parteibuch, drohte nicht nur politisch und beruflich das Aus, sondern wurde aufgrund von einer illegalen Flugblattverteilung oder -Transport (so genau hab ich das nicht ermitteln können), wurde jedenfalls für zwei Jahre in verschiedenen KZs in Mittelsachsen interniert. Nach verbüßter Haft kam er Mitte der dreißiger Jahre wieder in Freiheit, war aber von nun an, da er als Staatsfeind bekannt war, den repressiven Aktivitäten der SA ausgesetzt. Um sein gesundes Leben in Freiheit weiterhin zu ermöglichen, verließ er über die nahe böhmische Grenze in die Tschechoslowakei (ČSR) sein heimatliches Deutschland. Dort war er natürlich weiterhin aktiv. Irgendwie lernte er wohl dort im Milieu der Exilkommunisten die junge Frau kennen, die im Verlauf dieser Geschichte auch eine tragende Rolle übernehmen sollte. Als Hitler 1938 auf der Münchner Konferenz sich das Sudetenland einverleibte und Tschechoslowakei (ČSR) in der bekannten Größe von der Landkarte getilgt wurde, wusste der Johannes Schellenberger, dass er keine ruhige Minute mehr haben wird und verließ fluchtartig das europäische Festland. In England waren zu diesem Zeitpunkt nicht alle Menschen den Deutschen (feindlichen ausländischen Flüchtlingen) zugetan. Kurz nach der Ankunft von Johannes in England, kam die junge Frau mit einem der letzten möglichen Luftschiffe und gültigem Visum (weiß der Henker wie sie das geschafft hat) nach London. Es war für sie wohl auch eine Flucht aus bitterer Armut frohnähnlicher Arbeitsverhältnisse, ein Aufbruch in eine hoffentlich fortschrittliche Zukunft. Neues Land - neues Glück so die Hoffnung! In dieser Zeit muss meine Mutter entstanden sein. Diese Hoffnung erfüllte sich dann doch nicht umfassend. Zeitweise, nach Kriegsbeginn am 01.09.39 wurde das Leben im Exil noch unbequemer. Ab Frühjahr ‘40 wurden alle männlichen Flüchtlinge mit deutschem Pass, die es irgendwie auf die Britische Inseln geschafft hatten, interniert. Das geschah ohne Einzelfallprüfung und ohne rechtsstaatliche Grundlage. Wer jetzt an ebensolch praktizierte Vorgehensweisen in der Jetztzeit in unserem ach so schönen Land denkt, dem gratuliere ich zu diesem gedanklichen Bogenschluß! Es kamen also alle Deutschen in den eigens dafür eingerichteten Lagern unfreiwillig zusammen. Jung, Alt, Gesund, Krank, Juden, Kommunisten, Kriminelle, Sozialdemokraten, unpolitisch Menschen - oder auch Nazis - die aus persönlichen oder geheimen beruflichen Gründen nicht in Deutschland leben wollten oder konnten. Ein menschliches Sammelbecken mit sehr viel Konfliktpotenzial. Zumal das Ganze kein Ferienlager war, sondern eher an ein Gefängnis erinnerte, bei dem nicht mal das Rote Kreuz Zugang hatte oder die Genfer Konventionen Geltung hatten. Der Jan kam in ein Lager auf die Isle of Man und die werdende Oma wurde in einem Londoner Vorort in ein Zimmer, gegen den Willen der Hausbesitzerin, einquartiert und zum Arbeitsdienst eingezogen. Als die werdende Oma meine Mutter unter dem Pullover nicht mehr verbergen konnte, kam sie aus dem bombengefährdeten London nach Mittelengland. Manchmal kann es auch ein Vorteil sein, kein Mann zu sein. Dort musste sie zwar auch arbeiten, aber konnte das Kind auf die Welt bringen. Unter welchen unromantischen Bedingungen das dann stattfinden konnte, mag ich mir allerdings nicht vorstellen. Anfang ‘42 wurde der Johannes aus der haftähnlichen Internierung entlassen und konnte zu Frau und Kind stoßen, woraufhin meine Mutter noch ein Schwesterchen bekommen sollte. Die restlichen Kriegsjahre verbrachte die junge Familie mehr oder weniger in London. Immer wieder mit Nächten in Luftschutzkellern und zwischen ihnen nicht freundlich gesinnten Engländern.

Nach Mai ‘45 kamen sie dann in das zerstörte Berlin und wurden alles sehr bewusste, gesellschaftlich aktive DDR Bürger. Mein Opa Hans arbeitete in Buchverlagen und im Kulturbund. Leider verstarb er schon in meinen Kindertagen.
Der andere Opa,….

1915 beim Militärdienst in der schweizerischen Armee
….war zu der Zeit schon ein gestandener Mann. In den Dreißigern des letzten Jahrhunderts, die schon seine eigenen Vierziger waren, hatte er schon eine gewisse berufliche Reputation und war Witwer mit drei halbwüchsigen Kindern. Auf einer Reise in die damals junge Sowjetunion, lernte er eine junge Russin aus Riga kennen, die aber zu dieser Zeit schon in Wiesbaden wohnte. Nach der Oktoberrevolution wollte man keine jüdische Pelzhändlerfamilie im Sowjetstaat haben. Fragt mich bitte nicht wie es dazu kam, aber irgendwie wurden die jungen Leute zu einem Paar

und meine damals junge Großmutter zog zur alsbald stattfindenden Hochzeit in die Heimat des Witwers, in die Schweiz. Schwer fiel es ihr bestimmt nicht das Deutschland zu verlassen, war man dort in einer offen antisemitischen gesellschaftlichen Grundhaltung froh, über jede natürliche jüdische Abwanderung. In den Kriegsjahren war die Schweiz zwar irgendwie auch ein verhältnismäßig sicheres Gebiet, aber mein Großvater war in irgendeinem Schlamassel beruflicher und oder politischer Natur und so tingelte die junge Familie im frankophonen Sprachraum herum. 1940 kam dann mein Vater in Paris zur Welt. Ein solides und dauerhaftes, nennen wir es zu Hause, fanden die Vier (denn im weiteren Verlauf gab es noch eine Tante für mich) erst, nach dem Krieg. Aus idealistischen und vielleicht auch aus… ich weiß nicht was für Gründen, kam die Familie nach Deutschland. Der junge idealistische Staat neuer Ordnung im Osten, passte wohl ganz gut zu den utopistischen Vorstellungen eines Schweizer Kommunisten. Er musste ja bisher nie in dem Land leben, für das er gestritten hat. Eine Heimat wurde es für den alten Herren leider nie wirklich. Unter anderem weil er die Sprache nie richtig gelernt hatte; die DDR, so sehr sie sich auch anstrengte, keine alpenländische Kulisse zaubern konnte und auch die Fantastereien politischer Natur, Fantastereien blieben. Wie auch immer, bis zu seinem Tode, Anfang der Achtzigerjahre lebte er ein solides Rentnerdadein im selbstgewählten Exil.

Was lehrt uns nun die Geschichte?
Ich finde es beruhigend, dass junge Familien sich nicht grundsätzlich gegen Zuwachs entscheiden, obwohl um sie herum, die gewohnte Ordnung der Welt nachweislich erodiert, sich gänzlich auflöst oder noch schlimmer- feindlich gesinnt ist.
Und was noch?
Ein offnes Europa mit durchlässigen Grenzen - rettet Leben, EUROPE OPEN! Auch wenn es zwischendurch nicht immer Premium ist und das Leben im Zweifel eher ein Überleben darstellt, immerhin! Die Menschen die es betrifft, können sich in ihrer neuen Heimat erstklassig integrieren und aktive Mitglieder, heute heißt das wahrscheinlich „Highperformer“ werden! Sie müssen die Chance bekommen und hier und da ist vielleicht auch ein bisschen Druck von Nöten.
Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass so alte Geschichten in Mitteleuropa wieder brandaktuell werden können. So kann man sich täuschen.





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