Liebe Eltern

Liebe Eltern,

hiermit entschuldige ich mich, für mein Verhalten. Ich meine den Donnerstag im März vor 32 Jahren. Sagt bloß, ihr wisst es nicht mehr? Es kann auch im Juni am Mittwoch gewesen sein oder der Montag im September. Eigentlich, weiß ich es auch nicht mehr genau. Aber ich gehe, da ich mich jetzt selber in eurer Rolle sehe, verstärkt davon aus, dass auch ich mutierte. Vom lieben, aufgeweckten, glücklichen Kind, zum meuternen, schwankend gelauntem Endteenager, welcher genau weiß, was er alles anders machen wird! Gestern zeigte man ihm noch, welche Verhaltensweisen man selbst für richtig oder falsch hält. Heute geht das überhaupt nicht mehr! Jetzt Revolution und Abgrenzung gepaart mit ungebührlichem Betragen, wo gestern noch Eintracht herrschte. Nun ich war damals hoffentlich nicht zu dogmatisch, aufbrausend oder zu doktrinär. Mit neunzehn hat man, wie ich damals glaubte, einen ungetrübten Blick auf die Gesellschaft. Heute weiß ich, dass das auch richtig ist. Nur, dass das nicht die alleinige Wahrheit ist. Es gibt eben noch sehr viel andere Blickwinkel, die gleiberechtigt das Bild der Gesellschaft zeichnen. Es gibt Gegebenheiten und Zwänge, denen man ausgeliefert ist. Für vor Energie und Kraft strotzende Jugendliche, sind Einschränkungen selbstredend unakzeptabel. Die Konsequenzen ihrer Handlungen, mussten sie wenn überhaupt, ja erst mit sehr abgemilderten Folgen ertragen. Mit den begrenzten Erfahrungen der Jugend, fallen die Abwägungsprozesse des Alltags schwer oder sind schlichtweg unmöglich. All das weiß ich jetzt, liebe Eltern. Verzeiht bitte! Diese Zeilen sind für mich nicht der Gang nach Canossa. Sie fallen leicht, weil unsere Kommunikation nie abgerissen ist. Ich hoffe, dass ich ähnlich viel Langmut und Verständnis aufbringen kann, wie ihr es geschafft habt. Darauf freue ich mich nicht, aber ich fürchte, dass gehört wohl auch zu dem Gesamtpaket "Vaterfreuden" dazu! Ich bin zwar immer noch ein ungeduldiges Bürschlein, weiß mich aber wenigstens temporär zu zügeln!