Haus Georg in der Planetenstraße
- Georg

- 22. Nov. 2022
- 5 Min. Lesezeit

In meinem Haus, wenn es es denn gäbe, wohnten viele verschiedene Typen Mensch.
Große und nicht so Große, Glückliche und Suchende, Sparsame aus Überzeugung und aus Not, Vernünftige und Wagemutige und noch viele mehr. Lest selbst und überlegt, ob ihr auch am richtigen Platz in diesem Haus 🏠 wäret.
Im Erdgeschoss, hinter der großen Vorgartenhecke, neben dem straßenseitigen Eingang wohnt niemand. Da ist ein großer Raum mit viel Platz für Kinderwagen, Rutschfahrzeuge oder Fahrräder. Aber vor allem ist da Platz für Begegnungen der Bewohner, denn nur so funktioniert das in (m)einem Haus. Ich bin, wie ihr wisst, kein Sprachwissenschaftler. Aber trotzdem oder genau deswegen der heftigen Meinung, dass es bei der Entstehung des Wortes Mietshaus, einfach ein „e“ und ein „s“ eingeschoben wurde. Eigentlich kommt es von M-i-t-haus, ergo Miteinander-Haus. Aber das nur am Rande.
Im Keller sind die Heizung, Elektrokram und Einzelverschläge untergebracht.
Über dem Eingang und dem Begegnungszentrum wohnen die Flodders. Eine aufs Angenehmste unkonventionelle familiäre Ansammlung von Menschen in verschiedenen Generationen. Bluttechnisch nicht ganz eine Sippe, aber Familie ist eh da wo das Herz ♥️ schlägt. Da die beiden Bewohner die am ehesten als Oma und Opa fungieren, ständig daheim sind, dient diese Wohnung auch gerne als Postfiliale des Hauses. Es könnte auch das durch die Familie Turn und Taxis geprägte Posthorn über der Tür prangen. Die Paketboten aller Dienste kennt man mit Vornamen und werden herzlich wie alte Bekannte begrüßt. Der, der die Vaterrolle inne hat, rennt früh aus dem Haus und kommt unterschiedlich spät am Nachmittag abgekämpft heim. Was er genau beruflich macht bleibt nebulös. Jedenfalls nix mit Menschen. Die hat er zu Hause und dann beginnt die zweite Schicht. Einkäufe und Hausmeistertätigkeiten, Ersatzlehrer, Notfallsanitäter und noch zich andere Berufe in unterschiedlicher Intensität fordern seine gesamte Konzentration!
Big Mama (in Wirklichkeit eine kleinere zierliche aber maximal resolute Frau unbestimmten Alters), die täglich stundenweise außerhaus mit Menschen arbeitet, ist das wahrhafte Herz und die wahre Herrscherin der erweiterten Lebensgemeinschaft, ohne matronenhaft alle Anderen zu tyrannisieren. Vielmehr leitet sie geschickt die Geschicke der Mitbewohner und gibt ihnen noch dazu das Gefühl, geliebt zu werden. Bei Angst schützt sie, bei Nöten stützt sie, mit Freude lacht sie, bei Sorgen hört sie, das Konzert der Bedürfnisse aller Bewohner dirigiert sie! Die liebe Kinderschar ist schlicht der Wahnsinn. Zwar hören nur dreieinhalb Gören auf den Namen Flodder, aber es sind normalerweise ein paar Mäuler mehr zu stopfen. Es hat sich wohl die Kochkunst und Großherzigkeit der Flodders im Viertel herum gesprochen. Richtig Sorge muss man um die Kids nicht haben. Alle sind liebevolle anerkannte Kinder ohne grobe Mankos. Keine Inselbegabungen die das Leben verkomplizieren. Eher Orgelpfeifen im universellen oberen Durchschnitt, europäische Spitze im Schach und Boxen, so zu sagen!
Auf der selben Etage gibt es noch ein kleines, nennen wir es Studio, welches eine französische Studentin beherbergt. Als die Flodderkids noch kleiner waren, waren die Nannyjobs dann und wann am Abend ein win - win. Mittlerweile muss sie sich vor den Boys der Familie in Sicherheit bringen, um in keine zwielichtige Situation gebracht zu werden! Trotz der langen Periode fern der Heimat, hat sie sich, natürlich unabsichtlich, diesen wundervollen Akzent erhalten, der in vielen Männerohren unwiderstehlich klingt. Was sie genau studiert, bleibt wohl ihr Geheimnis. Ich denke, es ist das wundervolle Leben selbst, in dem sie einen wie auch immer nutzbaren Abschluss machen möchte und das kann bekanntlich dauern.
In der Etage zwei gibt es drei Wohnungen. In der einen wohnt Helmut. Er ist, seit ihn seine Trulla verlassen hatte, Alleinerziehend. Inzwischen ist das Kind auch aus dem Haus und er hat seither das Empty-Nest-Syndrom. Treusorgend steht er jeden Morgen früh auf, um dann festzustellen, dass er nichts zu tun hat in seinen zweieinhalb Zimmern. Die Küche könnte jederzeit eine halbe Fußballmeisterschaft versorgen und der Boden glänzt wie Opas Glatze. Vor Langeweile klingelt er manchmal bei der zwanzig Jahre jüngeren Nachbarin und nimmt ihr Gassigänge von dem haarigem Untermieter ab! Ansonsten ist der Frührentner ein umgänglicher Herr ohne irgendwelche Probleme, nur eben mit zu viel Zeit! Und so bewegt er sich auch. Nicht zielorientiert sondern mit der Maßgabe, möglichst lange unterwegs zu sein und den Tag schmerzarm rum zu bekommen.
Frau Nachbar, möchte auch am liebsten so genannt werden, ohne „in“. Revolutionär in Sache Frauenrecht. Absolut. In harter Schichtarbeit steht sie im Krankenhaus am Rande der Stadt täglich vorbildlich ihren Mann, oder so! Aber nicht verniedlichend oder verweichlicht, sondern so wie das eben Leben ist. Mit allen Höhen und Tiefen, nur ohne Penis. Solange man dieses delikate Thema beiseite lässt, ist mit ihr alles in Butter und sie, also Frau Nachbar, ist aktiver und freundlicher Teil der Bewohnerschaft, warum auch nicht! Männer können ja auch blöde, schön, schrill oder Heavy in Order sein. Und bei genauerem Betrachtung ist der “kleine Unterschied“ auch wirklich nicht groß!
Die dritte Wohnung wird von einem Künstler 👩🎨 bewohnt. Immerhin kein lautes Trompete üben Samstag um 4.30 Uhr. Nee, er malt. Nicht sonderlich erfolgreich aber auch nicht abschreckend. Im Hausflur hängt er alle möglichen Bildchen zur Probe auf. Manchmal schön, manchmal anstrengend aber immerhin abwechslungsreiche Momente. Ab und an hat er auch ein paar Modelle geladen. Mit Vorliebe für übergewichtige Hunde 🐶, ist das absolut jugendfrei. Wenn man ihn mal zufällig auf der Treppe oder aus versehen im Begegnungszentrum trifft und nach seinen aktuellen Projekten befragt, nuschelt er irgendwie von einer Ausstellung im Regierungsviertel. Das beharrlich, die letzten vier Jahre schon. Ansonsten ist er ruhig und schmutzt nicht übergebührlich. Nur seine qualmende Leidenschaft ist nicht ganz kompatibel mit den insgesamt asketischen Lebensweise. Was soll’s, ein Laster hat nun mal jeder!
Im Dachgeschoss wohne natürlich icke. Ich möchte den anderen Mitbürgern nur das übermäßige und wirklich lästige Treppensteigen ersparen. Es geht auch nicht um die schöne Aussicht oder der Gleichen. Im Zuge der Klimakatastrophe, opfere ich mich förmlich für meine Nachbarn auf. Ich bin quasi der Puffer zwischen brutaler Realität draußen und Wohlfühlatmosphäre im Hause. Im Winter schirme ich mit meiner bescheidenen Behausung, die Kälte ab und im Sommer das Gegenteil. Schon beim Frühstück , welches ab 9.00 Uhr auf der Terrasse gereicht wird, muss ich Sonnenhut und eine schwarze Brille tragen. Fürchterlich! So haben der Tee und die bittere Orangenmarmelade ihren natürlichen Teint verloren. 250 Quadratmeter mit oft sehr schrägen Wänden und überall irgendwelche Fenster und Türen zu Balkonen oder Terrassen gelten ja auch als Zumutung für eine kleiner werdende Familie. Ich wusste beim Einzug gar nicht wo ich meine höffner-Anbauwand hinstellen sollte. Wenn man mal seine Mitbewohner braucht, muss man fast eine Trackingapp benutzen, um zu finden wen oder was man sucht. Der reinste Horror! Und beim heizen, einkaufen und säubern der vier Wände, hat das Personal auch alle Hände voll zu tun. An was man da alles denken muss….?!

Aber nichts ist wirklich in Stein gemeißelt in diesem Haus, es lässt sich flexibel den sich ändernden Bedürfnissen und Rahmenbedingungen der Bewohner anpassen. Bisher war das noch nicht nötig, aber da ich keine hässliche Hexe mit Buckel auf dem Rücken und Warze auf der Nase bin, die in eine Glaskugel schaut, werde ich die Zukunft einfach kommen lassen müssen und wohl abwarten was sich ergibt! Es ist unglaublich schwer, so wie alle anderen Sterblichen auch zu sein. Ich könnte heulen.




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