Genosse Jörg Bela Teil 4
- Georg

- 29. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Nov.
In ideologisch wankelmütigen Zeiten, die selbst Jörg der Vorzeigegenosse, manchmal heimlich hat, denkt er sich hin und wieder andere Szenarien aus, als jenes in der er grade lebt. Was wäre, wenn die ruhmreiche Sowjetarmee ein anderes Tempo gehabt hätte mit dem Vorrücken gegen Nazideutschland und die Amerikaner nicht wie bekannt am Rhein getroffen hätte sondern entweder schon an der Elbe, oder erst an der Seine irgendwo bei Paris. Dann wäre wohl entweder das Deutschland geteilt worden (welch absurde Vorstellung) oder es würden auch in Frankreich Genossen an der Macht sein. Die Vorzüge der sozialistischen Gesellschaftsordnung könnten dann auch vom französischen Volk in vollen Zügen genossen werden. Aber so ist es ja leider nicht gekommen und so muss der fast neue Leitungsrat des Parteikreises sich umfänglich mit all seinen Fähigkeiten seinen Aufgaben in Murlau widmen. Diese gibt es in dem vernachlässigten Landkreis zu Hauf. Nicht genug, dass er seine Genossen im Ort und Kreis bei der Stange halten muss, nein er hat nicht weniger vor, als einen rückständigen in großen Teilen verwahrlosten und ungepflegten Landstrich in eine Vorzeige-Wohlfühl-Kuschel-Erhohlungsgegend zu verwandeln. Oh, es mangelt nicht an Ideen für tragfähige Konzepte und nachhaltige Veränderungen, doch es ist nicht alles von jetzt auf gleich umsetzbar und anfänglich hat Jörg auch die Starsinnigkeit der Urbevölkerung unterschätzt, welche sich untereinander, wahrscheinlich aus purer Boshaftigkeit, in einer Art Reservatsdialekt unterhält, die für gesunde Ohren wie Volltrunkenheit bei Vollmond kling und unter keinen denkbaren Umständen verstanden und enträtselt werden kann. Dagegen muss Jörg auch noch etwas unternehmen.
Jörg der in seinem Kurs an der Parteischule zum Spezialisten zur Stärkung des volkseigenen Sektor gemacht wurde, hat hier die besten Bedingungen, sein frisches Wissen in der Praxis zu erproben. Hier in der bayerischen Provinz, wo es naturgemäß schon nicht die besten Startbedingungen für die Etablierung der Entwickelten Sozialistischen Gesellschaft gab, wurden noch dazu einige Geburtsfehler begangen. Ob die Genossen kurz nach dem Krieg noch nicht so gut ausgebildet waren oder sich schlichtweg bestechen ließen, lässt sich heute nicht mehr klar sagen. Aber die ehemaligen Besitzer der Kleinbetriebe zu Sozialistischen Betriebsleitern mit Sekretärin und eigenem Spesenkonto zu machen, kann unmöglich im Interesse der Werktätigen sein. Seit der Genosse Bela nun sein Amt bekleidet, hat er fast wöchentlich, einen Kleinbetrieb befreit. Befreit vom Joch der Knechtschaft. Beharrlich, einer nach dem andern, nimmt er sich die ehemaligen Eigentümer zur Brust. Kurze unangemeldete Buchprüfungen sind die Stichworte. Da finden sich dann immer irgendwelche schlecht getarnten, rechtlich unzulässige Entnahmen, die natürlich nichts weiter sind, als Veruntreuung des Volksvermögens. Damit sind die feinen Herren geliefert. Sie keifen, krakeelen und jodeln, aber am Ende des Tages schnappt die silberne Acht zu und ab in die Zentralanstalt. Vier Jahr Umerziehung und Reue sind keime Strafe sondern die Möglichkeit, vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Die Häuser oder Wohnungen der feinen Herren werden zwar nicht geschleift, aber in das neue Projekt „Tourismus“ eingegliedert.
Es steht nun außer Frage, dass bauliche Veränderungen nötig sind. Dekadenter Lebensstil wird nicht geduldet und durch fortschrittliche Architektur abgelöst. Wo bis gestern nur ein Doppelbett stand, passen, wenn man es geschickt anstellt, sechs bis sieben Doppelstockbetten hinein. Des weiteren ist es auch nicht einzusehen, warum es in einem 25 Quadratmeter großem Badezimmer nur eine Badewanne und ein WC geben soll. Bequem können dort vier Werktätige gemeinsam duschen und ihre dringenden Geschäfte verrichten. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl und suggeriert jedem neuen Touristen „ Ich bin nicht allein, die Gesellschaft kümmert sich um mich!“ Bela möchte nicht ruhen, bevor nicht in den letzten Winkel des Alpenvorlandes, der Geist der Neuzeit eingezogen ist.
Zum völlig neuen und fast schon bolschewiken Lebensstiel gehört nun auch die Ansiedelung eines olympischen Sportklubs für Arbeiter und Bauern. Dieser wird dann, mit medizinisch technischem Fortschritt aus volkseigenen Laboren, dafür sorgen, den bisher rein materiell ausgerichteten Wintersport in allen Bereichen zu überflügeln und die ideologische, wissenschaftlich-technische sowie intellektuelle Überlegenheit von Arbeitern und Bauern, unwiderleglich zu beweisen. Bis dahin wird noch viel Schnee auf die Zugspitze fallen müssen, aber am Endergebnis, und liege es auch in noch so weiter Ferne, zweifelt Bela in keinem Falle. Mit dem entsprechenden Klassenbewusstsein und ein bisschen guten Willen, lernen selbst Kühe fliegen, so hofft er.
Bela muss an allen Fronten die lange vor sich hin driftende Urbevölkerung ermuntern. Manchmal kommt er sich vor wie im Menschenzoo. Es fängt ja mit den Namen der einheimischen an.
Der bekannte Müller-Sepp, heißt eigentlich Josef Müller, die Weiße-Rita , heißt Roßvita Weißberger. Und so haben sich die Einheimischen neben den schon beklagenswerten Dialekt auch noch Geheimnamen gegeben. Das erschwert zwar die Verwaltung des Problembezirks erheblich, kann aber den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung auch nur unwesentlich verlangsamen. Ein anderer wesentlicher Punkt der Rückständigkeit zeigt sich in der Art der Bekleidung. So scheint es in diesem Landesteilen üblich zu sein, sich mit Tierhäuten zu behängen. Meistens nur bis kurz über die Knie reichende primitiv aufgearbeitete Lederfetzen mit Bändern und jetzt wird es lächerlich, oftmals H O S E N T R Ä G E R! Dazu kommen Stricksachen, wie Wadelstrümpf oder Jackal zum Einsatz. Schuhe heißen Haferl und sind aller einfachste Treter aus derben gegerbten Tierhäuten, ohne übliche und ohne jeden Zweifel notwendige Klettverschlüsse oder Reißverschlüsse. In der gesamten Konfektionen für Mann und Frau unterscheiden sich Vorkriegsmodelle in Qualität und Machart kaum, von den aktuellen Kollektionen der örtlichen Ausstatter. Moderne ist wohl anders!





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