Der Gartenstuhl
- Georg

- 9. Juli 2021
- 4 Min. Lesezeit
Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit, unternehme ich hin und wieder bedarfsgerechte Servicesleistung am Dach und angrenzenden Bauteilen. Speziell für Hausverwaltungen die ein nachhaltiges Management betreiben, hat sich die Zusammenarbeit bewährt. Vierfach-win. Für Eigentümer, Nutzer, Hausverwaltung und natürlich auch für mich. Das ist kein Fakt zum neidisch werden, da es doch auch harte Arbeit ist. So auch in diesem Fall. Eine sogenannte Stadtvilla, wie sie in den neunziger Jahren auf freie Grundstücksteile überberall in Randberlin gestellt wurden. Zwei normale Geschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss. Die Mieter wohnen fast im Grünen und müssen nun auch damit leben, dass unteranderem die Dachrinnen durch baumbedingte Ablagerungen verstopft sind. Jetzt, bin ich nun der Saubermann! Mittels langen Leitern, Klettergurt und geeigneten Kleinwerkzeugen, kratze und wische ich alles weg, was dort nicht hingehört. Business as usual!
So auch neulich, nach Auftragserhalt, Termin gemacht, pünktlich erscheinen und los. An einer Stelle, die eine starke Nähe zu einer Kiefer aufweist, waren besonders viele und auch hartnäckige Ablagerungen in Dachrinne und an Wandanschlüssen. Beim säubern, löst sich urplötzlich ein Dachstein und fällt zu Boden. Der Dachstein trifft, wie soll es anders sein, einen Gartenstuhl und beschädigt diesen. Das gab eine Aufregung bei dem männlichen Mieter des Erdgeschosses, der vorher nicht zu sehen war. "Bis übermorgen soll sofort Ersatz beschafft werden!", blafft er. Der Ton war sehr pampich vom Herrn des Hauses. Die Frau war konstruktiver und sagte, erstmal fertig machen und dann regeln wir das. Euih jujeu, was geht hier ab? Keine Fragen, ob wir noch heil sind oder was die Ursache für den Fauxpas war! Nachdem sich alle beruhigt hatten, konnte unser Tageswerk beendet werden. Natürlich setzten wir die Fehlstellen im Dach provisorisch instand, sodass bis zur vollständigen und umfänglichen Reparatur keine zusätzlichen Schäden entstehen. Ich suchte vor der Abfahrt nochmals das Gespräch mit der geschädigten Familie. Die Frau des Hauses, nennen wir sie Frau Müller, hatte die Originalrechnung für die Sitzgruppe in der Hand und hat recherchiert, daß dieser Stuhl wohl nicht mehr lieferbar ist. Hmm, watt'n nu? Wesentlich freundlicher als die männliche Version, aber nicht weniger deutlich, gab es nun eine Forderung auf Ersatz der, ja nun nicht mehr vollständigen Sitzgruppe! Häh? Nach dieser Logik hätte ich wenn diese Ansammlung aus 4 Tischen und 32 Stühlen bestanden hätte, natürlich eine Neuanfertigung aller Möbel veranlasst, wenn bei einem Tisch der Lack ab ist!
Extrem irritiert, aber mit dem festen Willen, das Problem auf dem kleinen Dienstweg aus der Welt zu schaffen, bot ich monetäre Leistung an, die den Preis eines Stuhls deutlich überstieg und für die auch ein adequater Ersatz im einschlägigen Fachhandel inkl. Inflationsausgleich, nach Geschmack der Familie hätte besorgt werden können.
Taube Ohren, ich musste mir anhören, dass dieses Angebot nicht schlecht wäre, aber ihr, der Familie, nicht helfe, da es ja um 4 Stühle gehe!
Spielabbruch für heute, dachte ich mir und mit der Bemerkung, dass wir alle Mal drüber schlafen sollten, verabschiedete ich mich.
Noch nicht ganz zu Hause, rief mich die entsprechende Hausverwaltung an. Die Sachbearbeiterin wurde kurz vorher von dem Wüterich angerufen. Die Hausverwaltung und unsere bescheidene Dachbaufirma seien doch Hallodris, Scharlatane und Schlimmeres. Es werde wohl nicht mehr lange dauern, bis die Bauaufsicht, Gutachter und die Handwerkskammer unsere Machenschaften aufdecken und beenden werden! Nachdem die kompetente Sachbearbeiterin der Hausverwaltung noch mehrfach von, nennen wir ihn Herrn Müller, beleidigt wurde, hat diese das Telefonat beendet und aufgelegt! Normalerweise bekomme ich bei beruflichen Streitereien schnell hektische Flecke, Durchfall oder zumindest schlechte Laune. Aber in diesem Fall war ich nicht Schlaflos in Berlin, ob dieser fundiert vorgetragenen Kritik, aber es gab der ganzen Sache doch einen eigenen Drive. OK, ruf ich doch noch mal Frau Müller an, denn ihr Früchtchen von Gatte, hat ja nicht mit mir gesprochen. Hier klang das nun alles sehr viel vernünftiger. Sie hatte sich in der Zwischenzeit erkundigt und erfahren, das Versicherungen den Zeitwert ansetzen und hat sich dann schnell selbst ausgerechnet, dass sie damit wohl viel schlechter fahren würden. Und somit sich lange und aufwändige Schriftwechsel als obsolet und wenig erfolgreich erweisen würden.
Noch 24 Stunden später rief mich Frau Müller an und vereinbarte mit mir die Übergabe des Geldes als Ersatz für den defekten Stuhl und als Balsam für die gequälten Seelen. Ich glaube es erst, wenn es vorbei ist. Ob Familie Müller, sich nun einen neuen Gartenstuhl besorgt oder sich den Schein an die Wand klebt, ist mir Schnuppe. Natürlich wäre es besser gewesen, ohne irgendwelche Schäden, aber mal ehrlich, eigentlich ist nichts passiert, fast! Die Bewertung solcher Dinge wirft aber doch ein klares Bild auf die Beteiligten. Ich möchte den Schaden, wenn ich es nicht ungeschehen machen kann, doch zumindest nicht kleinlich abfinden, Frau Müller möchte nicht behumst werden und möglichst viel rausholen (versteh ich irgendwie auch noch) und Herr Müller möchte alle fertig machen. Ich weiß nicht was da vorher passiert sein muss, um so einen, vorsichtig ausgedrückt, schrägen Blick auf die Welt zu haben und ob man das behandeln lassen kann. Und Gott sei Dank, werde ich nicht miterleben, wie es dort am Küchentisch zugeht!





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