Brigitte, Winterteufel
- Georg

- 11. Dez. 2022
- 7 Min. Lesezeit
In Nordosteuropa, zu dem Schwerin von manchen Menschen südlich von Hannover gezählt wird, hat sich der Winter breit gemacht. Politisch und wirtschaftlich hat man auch lange auf den östlichsten Anrainer des baltischen Gewässers gehofft. Aber diese Blase ist wohl mit allen Anderen, welche Ende Oktober an die Oberfläche des Meeres sprudelten, zerplatzt und aus Hoffnung auf gute bilaterale Beziehungen ist Gewissheit geworden, welche auf dem Grund des Gewässers für lange Zeit zur Ruh gelegt wurde. Genauso frostig wie dieses Verhältnis sind jetzt die landesweiten Temperaturen.
Viel Windstärke und auch oft von Nordosten, gerne auch mit leichtem Schneetreiben. Grade soviel, dass normales Leben erstarrt, das Arbeiten bei Wind und Wetter erschwert werden und optisch ein Hauch von Puderzuckergleichnis auf den beackerten Flächen zwischen den verstreut liegenden Häusern des Landes liegt. Selbstverständlich gibt es auch nicht soviel Schnee, dass irgendwelche Wintersportarten nur ansatzweise sinnvoll betrieben werden könnten.
Aber und Brigitte nimmt nun die Verfolgung auf, soviel Schnee, dass die Spuren das des Einbruchs in eine Gartenlaube verdächtigen Täters am Stadtrand der Landeshauptstadt, bis auf weiteres auch im halbdunkel der beginnenden Dämmung im lockeren Trab gut zu erkennen sind. Das dieser Einbruch von der Kriminalpolizei bearbeitet wird, zeigt schon das so kurz vor Weihnachten, wie zu anderen Jahreszeiten auch, das Verbrechen als Solches, in Schwerin auch nicht besonders aktiv ist.
Nach ungefähr 10 Minuten, Brigitte hat gerade Betriebstemperatur, führt die Spur vom Feld auf eine Straße, die letzten Endes zum Zentrum führt. Gut und auch wieder nicht. Gut, weil das schummrige Licht nun von den Niederdruckleuchtsofflampen der Laternen abgelöst wird und schlecht, weil nach und nach mit zunehmender Zentrumsnähe, es natürlich auch immer mehr Fußstapfen im zarten Weiß gibt. „Verdammt“ sagt Brigitte halblaut und bleibt nun stehen. Reflexartig greift sie zur Brusttasche und holt ihr Telefon heraus. Die Kurzwahltaste eins verbindet sie unverzüglich mit der Spusi. Also natürlich mit Peter, ihrem on-off Freund. Im Sommer hatten sie sich geeinigt, dass es zwar alles sehr schön, aber irgendwie auch zu eng ist! Wenn das zwischenmenschliche Gefühlsfeld rational funktionieren würde, Brigitte hätte des Rätsels Lösung des nicht dauerhaften Glückes schon längst in ihren Händen gehab. Peter ist zwar immernoch ihre unangefochtene Nr. 1 , aber sie möchte, da es ohnehin keine 2 oder 3 gibt, wenigstens zeitweise ganz ohne Zahlen auskommen. Die Ehrlichkeit hilft aber im beruflichen Umgang, denn da müssen die zwei noch am gleichen Strang ziehen. Über das sinnbildliche Motiv, muss selbst sie hin und wieder schmunzeln.
Peter nimmt sofort ihre Anforderung, mit dem ganzen Klimbim zu ihr zu kommen, ernst.
Sie schickt ihm jetzt ihren Standort und die Adresse der Gartenlaube.
Für Brigitte ist der Arbeitstag gleich vorbei. Nur noch auf die Kriminaltechnik warten und dann ? Erstmal abwarten. Um 17.00 Uhr, es ist taghell auf dem Bürgersteig. Trotz modernster Technik Lampen, Laser und Infrarot, verliert sich die Spur im nunmehr wässrigem Matsch des Advents. Immerhin konnte ermittelt werden, dass der Flüchtige Täter Schuhgröße 41 einer millionenfach verwendeten Sohle hat. Frisches Blut 🩸 wurde auch, wenn auch nur wenig, gefunden. Ob es kausal zusammenhängt wird sich zeigen. Da es keine andere als stumme Zeugen gibt, ist halb sechs nun Feierabend für Brigitte. Leicht frierend, entscheidet sie sich für den Marsch zum Glühweinstand. Es ist ihr fast egal wie weit es ist, durch die Bewegung wird ihr schon wieder warm werden und durch das ständige ausgleichen des rutschigen und wackligen Untergrundes beim Laufen, werden erstens die Muskeln in den Pobacken trainiert und in unteraltersdurchschnittlicher Knackverfassung gehalten und zweitens werden die Gehirnhälften wieder gut vernetzt. Wer weiß schon, wozu das wiederum gut sein kann?
Unterwegs bekommt sie noch Einiges von ihren ermittelnden Kollegen mitgeteilt. Blut, passend zum Fund auf der Straße wurde auch in der Laube gefunden. Die Besitzer des Gartens waren auch schon da und wollten keine Verluste an Inventar des Häuschen bemerkt haben. Nur das defekte Schloss und das geborstene Küchenfenster seien beklagenswert. So drückt sich nur Studienrat Mann, der Besitzer selbst aus, wie Brigitte telefonisch erfuhr. Gutbürgerlich, wie sich das Paar in den Fünfzigern gab, wolle man bei Tageslicht noch alles einmal sichten und dann entscheiden ob auf eine Anzeige verzichtet werden kann. „Der hört sich wohl selber gern reden“ war die eigentliche kollegiale Nachricht für Brigitte vom Team an der Laube.
Egal, den just als Brigitte ihr Telefon in ihre Jacke gleiten ließ, sah sie die bunten, blinkenden Lichter des Weihnachtsmarktes. Jahreszeitliches Bimmelbammel mit nervigen Popbeats unterlegt drangen üngezügelt an ihre Ohren. Da wird sie auch mit viel Glühweinen nicht wirklich in besinnliche Stimmung kommen, eher besinnungslos enden. Am ersten Stand angekommen geht es dann schnell. Ein Papier aus dem Scheinfach des Portemonnaies getauscht gegen einen Becher dampfender Flüssigkeit. Vergebens wartet sie auf Rückgeld. Auf ihr verdutztes schauen, bellt der Verkäufer das Wort Pfand über den Tresen. „Die Tasse können Sie überall abgeben und ihren Pfand zurückbekommen oder spenden.“ Wie sich nun der Betrag spittet, weiß sie zwar noch nicht, aber mit ihrem vernünftigen Beamtensalär, ist ihr das auch Schnuppe. Der Mann hinter dem Tresen beugt sich nun zu einer jungen Frau, die seine Tochter sein könnte, tätschelt eine Schulter und hält mit der anderen Hand die offensichtlich blutende Hand des Mädchens.
Brigitte schlendert nun mit der dampfenden Tasse in der Hand von Stand zu Stand und wundert sich über die Dinge welche hier feil geboten werden, die sie alle überhaupt nicht gebrauchen kann. Lammfellhandschuhe, Olivenholzsalatbesteck, Panamahüte aus Strohgeflecht, Spülbürsten aus Original Mahagoniholz mit ichweißnichtwasfür Haaren. Schrottwichteln für Fortgeschrittene. Am anderen Ende des Marktes gibt es den Powerdancer, die Mausefalle und das größte fahrende Riesenrad 🎡 Norddeutschlands. Ohne Superlative kommt man auch in der Provinz nicht aus. Bunte, laute und sehr schnelle Fahrgeschäfte, bei denen Lebensversicherungen im Falle eines Unfalls, grobe Fahrlässigkeit oder sogar Mutwillen unterstellen und jede Leistung ausschließen würden. An der nächsten Ecke holt sich Brigitte noch eine typische Thüringer Bratwurst und als sie wieder beim anfänglichen Stand den Becher abgegeben hat, kommt ihr der Verkäufer mit der Blut -jungen Frau so entgegen, dass sie ausweichen muss und bemerkt wie ein rotes Stückchen Zellstoff neben dem Fuß des Mädchens auf dem Boden landet. Instinktiv bückt sich Brigitte und hebt neben dem in Schnee gehauenden Abdruck der Größe 41 mit der immer mitgeführten Pinzette den unachtsamen verlorenen gegangen Verbandsteil auf.
Egal, kein Stress denkt sich Brigitte, wenn das Blut passt, hohle ich mir das Fräuleinchen, in Schwerin geht niemand verloren. Jetzt schlägt sie aber erstmal den heimischen Weg ein.
Der erste Weg des Morgens, führt sie zu Peter in die KTU. Im Sommer noch, hätte er das Fundstück selbst mitnehmen können, aber nun ist erstmal wenn nicht emotionale Eiszeit, dann doch wenigstens Auszeit! Freundlich begrüßen Sie sich immernoch und fast ausschließlich professionell betreiben sie das, was sie nun zu regeln haben. Brigitte ist Peter für diese Sachlichkeit sehr dankbar. Er versichert ihr, das Blut mit den Proben von gestern abzugleichen und dann Bescheid zu geben. In der Zwischenzeit lenkt sich Brigitte in der dritten Etage mit dem morgendlichen Briefing ihrer eigenen Abteilung ab. Dort erfährt sie, dass der Herr Mann, Studienrat Mann vom Goethe-Gymnasium keine Anzeige erstatten wird. Ob der mit Vornamen Heinrich, Thomas oder sonstwie heißt, will Brigitte gar nicht wissen, sonst würde sie vor lachen wohl nicht mehr in den Schlaf kommen. Also außer Spesen nix gewesen, die ganze Aufregung um sonst und Peter prüft noch immer das Blut. Naja, viel anderes ist ja auch nicht zutun. Ich werde ihn gleich nach dem Gequatschte hier anrufen. Da piepst auch schon das Telefon. Nachricht von Peter. Nur ein Wort : Bingo!
Herr Fromm, Brigittes Chef, fragt mal vorsichtig in die Runde, wer Überstunden abbummeln will. Da nun in ihr das Jagdtier erwacht ist, meldet sie sich im Büro bis auf weiters ab und fährt noch einmal zur Gartenlaube, um sich selber ein Bild zu machen. Es stinkt, findet sie, gewaltig! Auf dem Weg zur Laube, kommt sie am Goethe-Gymnasium vorbei. Scheinbar ist grade Hofpause und die Oberstufe drängt rauchend auf die Straße. Da fällt ihr eine verbundene Hand auf, welche einen Glimmstängel aus dem Mund des Glühweinstandmädchen von gestern zieht. Das sind wirklich zu viele Zufälle! Sie sucht sich einen Parkplatz und kurz vor Ende der Pause tritt Brigitte nun auf das Mädchen zu. Verwirrung macht sich auf ihrem Gesicht breit. Erst als Brigitte ihr klar sagt, dass sie genau weiß was sie gestern gemacht hat, deswegen aber keine polizeiliche Ahndung zu erwarten hat, wird sie lockerer und gibt sich zunehmend Gesprächsbereit. Brigitte will einfach wissen, wie alles zusammen hängt. Das Mädchen erzählt, dass Herr Mann nur ein ihr verhasster Deutschlehrer ist. Er hat die letzten Aufsätze seid Wochen nicht zurück gegeben und da hat sie mal in der Laube nachsehen wollen. Jetzt reicht es Brigitte vollends. Selten hat ihr jemand eine hirnrissigere Geschichte aufgetischt. Das Mädchen, welches Lara heißt, ängstigt sich nun vor der zunehmend ungeduldigen Brigitte. „Lara, wenn du nicht augenblicklich die Wahrheit sagst, nehm ich dich und deinen lieben Herrn Mann mit auf meine Dienststelle und dann bekommen wir die Wahrheit schon raus.“ „Wenn Sie wüssten, wie nah Sie mit -lieben Herrn Mann- schon an der Wahrheit sind!“ nuschelte Lara jetzt halblaut!
Lara, die vergessen hatte, dass sie eigentlich schon längst zum Englisch Leistungskurs hätte gehen sollen, erzählt bereitwillig nun mit jeder Silbe welche ihre Lippen verlässt zunehmender Erleichterung ihre Version der Geschichte. „Also der Herr Mann, Manfred also, der, also der und ich sind, ähh, wir haben irgendwie, also er und ich haben in der Laube mal einige Stunden verbracht!“ Brigitte, da der Stein im Rollen war, musste nur noch die Kälte ignorieren und den Redefluss nicht unterbrechen, um alles zu erfahren. „Und jetzt also gestern hatte Manfred mir gesagt, dass das so nicht weiterginge und hat mich als Fehler bezeichnet. Gerade für einen Deutschlehrer eine wirklich unzutreffende Formulierung.“ Brigitte konnte sich nicht vorstellen, was in Lara vorging. Sie selbst fand ihre Lehrer immer furchtbar alt und geschwärmt oder mehr, hatte sie nie für Lehrer.“ Ich wollte doch nur verstehen, warum er mit mir, na Sie wissen schon. Aber er stieß mich weg und vor Wut habe ich die Scheibe eingeschlagen und bin dann weggerannt!“ „Ja, zum Weihnachtsmarkt! Dort habe ich dich gestern zufällig gesehen.“ „ Ja, mein Vater arbeitet dort am Glühweinstand“ „Lara, normalerweise geht das hier jetzt an die große Glocke und dein Leben, das von Herrn Mann und dem Gymnasium vielleicht auch einiges andere ändert sich. Willst du das?“ „Nee, also nein überhaupt nicht! Ich mach in ein paar Monaten Abi und bin dann auf Weltreise, Manfred Mann und das Goethe Gymnasium, ganz Schwerin, werden dann für eine lange Zeit nur noch eine blasse Erinnerung sein. Es ist ja nix weiter passiert außer das Platzen pubertärer Blasen. Mann habe ich, wenn überhaupt, nur noch als Vertretungslehrer.“
Brigitte ist über soviel angepasste Selbstreflexion einer 18 Jährigen sehr beeindruckt. Fürs erste ist Laras verwundete Hand Strafe genug und ein Synonym für die Verwundung ihrer Seele. „Soll ich menschlich oder beruflich mal mit diesem Mann sprechen.?“ Fragt Brigitte dann zum Abschluss. „Nee, ich will das hier einfach nur vergessen!“ „Gut, wenn du dir das anders überlegst, hier ist meine Karte.“ Lara steckt die Karte weg, dreht sich fröstelnd um und geht ins Schulhaus.
Für Brigitte ist das durch, irgendwie ist sie sehr froh, dass das Leben in Schwerin so einfach, provinziell und harmlos ist. Frohe Weihnachten, wo immer ihr auch seid.


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